piwik no script img

Meinen Segen habt ihr nicht

■ betr.: „Ostgrüne segnen Westkan didaten ab“ von Dorothee Win den, taz vom 17.2. 98

[...] Wer aus Demba plus Klotz plus Volk minus Hämmerling den ostgrünen Segen herausbekommt, macht eine Milchmädchenrechnung.

Wir sind erwachsen geworden – so hieß es, als am 12.1. 98 der 18. Gründungstag der Grünen gefeiert wurde. Erwachsen – damit assoziiert man gemeinhin Verantwortungsbewußtsein, Reife, Verläßlichkeit. Seit dem vergangenen Wochenende muß ich allerdings dem Berliner Landesverband eben diese Eigenschaften und mithin das Erwachsensein absprechen.

Ostrealität: Die PDS ist die zweitstärkste politische Kraft in Ostdeutschland. Ihre Botschaft ist ebenso simpel wie erfolgreich: Wir rächen die Enterbten (Ossis). Ob es uns paßt oder nicht: Ostdeutsche sind zutiefst verunsichert und gedemütigt von der Vereinigung, haben erlebt, wie Westdeutsche sie evaluiert, abgewickelt, belehrt, aus Job, Haus oder Datsche verdrängt haben. Daß diese Wahrnehmung selektiv und einseitig ist, ändert nichts an der Tatsache: Ossis wollen Ossis sehen, um ihr eigenes angeschlagenes Selbstbewußtsein wieder zu kurieren. Hansa Rostock, Henry Maske, Regine Hildebrandt – sie alle werden geliebt, weil sie Ossis sind und trotzdem siegen.

Marianne Birthler gehört zu den wenigen bekannten Ostgesichtern. Mit 29 Prozent Erststimmen im Bezirk Prenzlauer Berg bei den letzten Abgeordnetenhauswahlen erzielte sie ein Ergebnis, dessen sich auch ein Christian Ströbele oder Rezzo Schlauch nicht zu schämen bräuchte.

Aber im Berliner Landesverband der Partei der Minderheiten haben Ostdeutsche offensichtlich nicht einmal mehr Minderheitenrechte. Oder wie anders ist es zu erklären, daß eine überwältigende Mehrheit des zur Kandidatenaufstellung herbeigeeilten Parteivolks darin übereinstimmt, daß man auf das Ostgesicht verzichten kann, weil kompetente Westfachfrauen selbstverständlich Ostinteressen mitdenken und mitvertreten können? [...]

Wenn eine Partei, die für sich reklamiert, den höchsten Anteil an politisch denkenden Menschen zu vereinen, in einer Stadt, die aufgrund ihrer geographischen Gegebenheiten voreilig zum Labor der deutschen Vereinigung ausgerufen wurde, meint, auf eine profilierte Ostdeutsche verzichten zu können, dann muß sie sich Ignoranz vorwerfen lassen. Katrin Steinitz, Berlin

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen