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Meine StraßePostfordismus

■  Unternehmensmodell Stargarder Straße: Haare werden am Fließband geschnitten, im Zoogeschäft gibt es russische Pralinen und die Vietnamesen finanzieren das Bier

Man kann es wie eine Schauspielerin aus der Frühzeit des Tonfilms schnarren: „Starr-garrr-derrrr“. Westberlinern muss man es meist trotzdem noch mal ordentlich buchstabieren, denn die kennen die Stargarder Straße in Prenzlauer Berg nicht. Ostberliner schon. Da wird dann auf Abspulknopf „Wendepower“ gedrückt und es ziehen Lichterketten, Bürgerrechtlerbärte und Stasi-Randale vorbei.

Die Einzigen, die sich hier heute noch zusammenrotten, sind Menschen mit Handtüchern auf dem Kopf. Sie warten vor dem „Headhunter“, wo man sich zu Technomusik für 20 Mark die Haare am Fließband kaputtschneiden lassen kann. Statt Fußtreppchen zu benutzen, tragen die jungen Friseure gigantische Plateauschuhe, kriegen Besuch von ihrem Nachtleben und rauchen ständig. Und irgendeine Oma regt sich dann darüber auf.

Das Zoogeschäft in der Stargarder Straße hat leider dicht gemacht. Das an die Tür gesprühte „Käfige sind Knäste“ ist ihm wohl letztlich zum Verhängnis geworden. Darum kann man sich nach dem Frisörbesuch nicht mehr mit Tiere streicheln über den neuen Haarschnitt hinwegtrösten. Drei russische Frauen verkaufen in dem Geschäft jetzt Lebensmittel und aus der Heimat Mitgebrachtes. Die Pralinen in Schachteln mit famosem Blumenmotiv sind auf jeden Fall ein Gewinn für den Kiez.

Der Jalousienladen an der Straßenecke hat immer geschlossen. Das Schild „Castorf-Jalousien – seit 100 Jahren“, das über der verschlossenen Tür hängt, macht sich allerdings trotzdem gut. Der Laden gehört nämlich dem Vater von Volksbühnenboss Frank Castorf. „Echt?“, fragen Besucher aus anderen Bezirken dann, und man kann nach diesem kurzen Ausflug in die Welt der Hochkultur anderen Vergnügen widmen. Zum Beispiel dem „Hubraum“, der Rockerkneipe unten in meinem Haus. Motorradrocker sind ja eigentlich super. Aber wenn man morgens, mittags, abends „Born to be wild“ hören muss, verliert man schnell die Nerven und will nur noch Discopop hören. Es kamen dann auch immer nur dieselben drei Freunde an die Theke und plötzlich blieb der Rolladen unten. Das Gespräch über heiße Öfen war wohl versandet.

Die Lieblingsfrage im Mieterladen ist: „Juppiekiez oder Ghetto der Verlierer?“ Vereinzelt schwadronieren Bauarbeitertrupps durch die Stargarder und kurzzeitig drohten die Betonmischmaschinen auch unserem Haus. Daraufhin zogen alle meine Nachbarn hasenfüßig aus. Geblieben sind die beiden Alkoholiker, eine Hausverwaltung und ich. Und im Seitenflügel gegenüber ein langhaariger Mensch mit grauem Bart, der sich einmal von mir ein englisches Buch über Postfordismus ausgeliehen hat. Weil der Titel ihn so an Huxley errinnere, wie er sagte. Zwei Tage später brachte er es ungelesen zurück – mit der schüchternen Bemerkung, er sei wohl ziemlich betrunken gewesen.

Alkohol macht meinen Nachbarn oft Probleme. Sie vergessen zum Beispiel ihren Kartoffelsalat auf der Treppe. Herr A. hat sich inzwischen eine Art Katzenklappe in seine Wohnungstür gebastelt, durch die er kriechen kann, wenn er sein Türschloss nicht mehr aufkriegt. Und Herr P. hatte, um seinen Bierkonsum zu finanzieren, ein Zimmer seiner Wohnung an eine Gruppe Vietnamesen untervermietet. Sie kochten unentwegt Reis und es roch im Treppenhaus sehr lecker nach Sojasoße. Leider wurden die Vietnamesen von der Hausverwaltung entdeckt und flogen wieder raus. Schade.

Kirsten Küppers

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