Mein wunderbarer Kinotag

„Tatjana“ ist wunderschön und Aki Kaurismäki endlich wieder bei sich selbst angelangt. Finnland als schwarz-weißer Parkplatz für Dauerdepressionen. Bars heißen dort„Baari“  ■ Von Anke Westphal

Nun gut, jeder hat ja so seine eigenen Ansichten darüber, was ein „wunderbares Kinoerlebnis“ ist. Ein Film, nach dem man das Kino leichtfüßig dahinschwebend verläßt. Ein Film, nach dem man in Würde grübelnd nach Hause schreitet. Wir versprechen hoch und heilig, daß „Tatjana“ beides bewirkt. Außerdem verfügt Spielleiter Aki Kaurismäki über eine Fähigkeit, die vielen Regisseuren leider abhanden gekommen ist: Er kann eine Geschichte in nur fünfundsechzig Minuten erzählen – stringent, wortkarg und trotzdem präzise. Finnisch ist eine hübsche Sprache. In Finnland heißen Bars „Baari“ und Cafés „Kahvila“. Die Bars und Cafés in „Tatjana“ sind allerdings weniger gemütlich als ihre Namen. Aki Kaurismäki stilisiert sein Finnland zum schwarz-weißen Parkplatz für Dauerdepressionen irgendwann Ende der sechziger Jahre. In einer Stadt namens Lappeehrantha eröffnet zu dieser Zeit gerade die erste Pizzeria Finnlands. Auf der Folie dieser Jahre betreibt Kaurismäki „geistige Geopolitik“ für die Gegenwart.

Allgegenwärtige Armut und Häßlichkeit haben Kaurismäkis Helden mit stummer Melancholie und Hilflosigkeit infiziert. Die Verhältnisse, sie sind halt so, und sie lassen sich allenfalls für die Dauer eines kurzen Ausbruchs ändern, ännlich wie im „Mädchen aus der Streichholzfabrik“. Der finnische Blues wird mit der Flasche therapiert. Auch Reino und Valto trinken gern und gut, den halben Liter Woldka rülpsend auf einen Zug. Sie haben allen Grund dazu: unerfreuliche Alltage in einer Autowerkstatt oder an der Nähmaschine und außerdem das berühmte finnische Kommunikationsproblem. Sie schweigen, denn es gibt nichts zu sagen. Sie wurden einem grauen Leben frühreif zum Fraß vorgeworfen. Reino und Valto versuchen, die Welt, so gut es geht, mit Zigaretten, Kaffee und Schnaps in Schach zu halten. Sie werfen schäbigen Holzhäuschen und rostigen Autos böse, aber auch irgendwie ergebene Blicke zu. Die Kamera hält in Totale auf traurige Seehundsgesichter (immer wieder toll: Matti Pellonpää). Leute, die ganz metaphorisch den Kopf hängen lassen. In Finnland auszubrechen, ist fast unmöglich. Dennoch tut „Tatjana“ es, vielleicht aus Trotz. Ein finnisches Roadmovie? Ein finnisch-russisches Roadmovie.

Wenn Reino und Valto sich schick machen, dann ist es eine anrührende Abart von Bauernschick. Lederjacke, Nylonhemd, Bügelfalten, Brillantine im Haar. Gutmütiger Trottel und Halbstarker düsen im schwarzen Wolga durch die finnischen Pampas; aus dem schick und modern im Auto integrierten Plattenspieler dudelt schmalzige Musik. Alles, was woanders als Codes der free world gelesen werden würde, wirkt in dieser Umgebung nur komisch, ulkig und am Ende so traurig wie die Würde der sehnenden Einfalt, die naiv imitiert, weil sie es nicht besser weiß. Reino und Valto sind die proletarische Notausführung der „Easy Rider“. Als sie unterwegs eine russische (immer wieder toll: Kati Outinen) und eine estnische Anhalterin auflesen, ändert das wenig an ihrer Befindlichkeit: drei weitere schweigsame Tage. Es sind die Frauen, die erzählen, fragen, tanzen, eben kommunizieren wollen. Die Männer tun, als hätten sie mit dem, was ihnen zustößt, nichts zu schaffen: das Sich-Totstellen der Ängstlichen.

Wir verzichten hier tunlichst darauf, den Verlauf der Geschichte wiederzugeben. Möge das Publikum sich gefälligst selbst an wunderbaren Polkaszenen mit „Anuschka“, an zart erwachenden Neigungen, Dackelblicken sowie traurig geknickten Blümchen erfreuen. Wo Melancholie herrscht, ist auch Sentimentalität nicht weit. Kaurismäki verleiht ihr durch Knappheit im Erzählen eine herbe Schönheit.

Am Schluß haben sich „die freundschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Ländern gefestigt“, und Kaurismäki ist nach dem ganzen „Leningrad-Cowboys“- Krempel endlich wieder zu den sparsam inszenierten, bittersüßen Tristesse-Balladen seiner Anfänge zurückgekehrt.

Winziges PS: Schon der Vorfilm von Jim Jarmusch ist das Eintrittsgeld dreifach wert. „Zwei große Künstler“, nämlich die Herren Iggy Pop und Tom Waits, treffen sich wie die Veteranen zum Kaffeekränzchen, um sich dann gegenseitig ans Bein zu pinkeln. Grandiose Szene, als sie feststellen, daß keiner von beiden eine Platte in der Jukebox hat. Gehen Sie unbedingt hin: Es wird Ihr wunderbarer Kinotag.