Mehr zivile als militärische Zerstörung in Jugoslawien

■ Infrastruktur ist vernichtet, Schäden werden auf 12 bis 120 Milliarden Mark geschätzt

Berlin (taz) - Nach zehn Wochen Bombardierung ist die Bundesrepublik Jugoslawien ein zerstörtes Land. Die militärische und zivile Infrastruktur des ohnehin wirtschaftlich angeschlagenen Staates ist durch die ununterbrochenen Angriffe der Nato in vielen Teilen vernichtet worden. Die Schätzungen der wirtschaftlichen und ökologischen Kriegsschäden gehen weit auseinander. Sicher ist nur: Für die 10,5 Millionen Menschen in Jugoslawien bringt der Krieg drastische ökonomische Einbußen.

Den Sachschaden durch die Angriffe beziffert das Belgrader Wochenmagazin Nedelnjni telegraf auf 120 Milliarden US-Dollar. Mehr als 200 Fabriken und Kraftwerke, 50 Krankenhäuser, 190 Schulen, 50 Brücken und fünf zivile Flughäfen seien zerstört worden. Nach Angaben der Nachrichtenagentur AFP sind zwölf Eisenbahnlinien und zehn Straßenverbindungen nicht mehr funktionsfähig. Zwei der drei Ölraffinerien des Landes und Dutzende von Treibstofftanks wurden zerstört.

Für die halbe Million Menschen, die durch die Zerstörungen arbeitslos geworden sind, hat der serbische Premier Mirko Marjanovic ein Hilfsprogramm angekündigt. Woher der Staat dieses Geld nehmen will, ist ungewiß. Immerhin befindet sich Jugoslawien in einer wirtschaftlichen Misere: Das Bruttoinlandsprodukt sank allein zwischen 1990 und 1995 um fast 50 Prozent und betrug 1997 nach Schätzungen des US-Geheimdienstes CIA nur noch 27 Milliarden Dollar.

„Etwa die Hälfte der 30.000 Luftangriffe hatten primär zivile Ziele“, sagt Götz Neuneck vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Uni Hamburg. Die Nato habe eine „gewisse Unfähigkeit gezeigt, das Militär zu treffen“ und sei deshalb auf Ziele mit militärischem und zivilem Nutzen wie etwa öffentliche Sendeanlagen ausgewichen. Nach einer offiziellen Liste der jugoslawischen Regierung wurden neben Ölraffinerien unter anderem auch Chemieanlagen, Kraft- und Wasserwerke, Elektrofabriken und Autohersteller zerstört. Sogar 24 Kirchen, Museen und Klöster seien angegriffen worden, beklagte die jugoslawische Botschafterin bei der Unesco. Für den Wiederaufbau dieser historischen Gebäude hofft die Regierung auf Geld von der UN-Kulurorganisation.

Zu weit geringeren Zerstörungen als die jugoslawische Seite kommt eine Untersuchung der Universität der Bundeswehr in München. Demnach trägt Jugoslawien durch Zerstörungen und Militärausgaben zwei Drittel der gesamten Kriegskosten von 40 Milliarden Mark. Durch Kriegszerstörungen wurden nach der Studie bisher Vermögen im Wert von 25 Milliarden Mark vernichtet - allerdings hätten mehr als die Hälfte davon die Jugoslawen selbst angerichtet „im Zusammenhang mit den ethnischen Vertreibungen“ im Kosovo. Die Zerstörungen der zivilen Infrastruktur durch Nato-Bomben beziffert die Studie auf 12 Milliarden Mark.

Die Verluste des jugoslawischen Militärs dagegen seien weit niedriger. An Kosten durch „kriegsführungsbedingte Zusatzkosten“ wie Treibstoff und Munition und durch „Verlust an militärischem Großgerät“ errechnen die Bundeswehr-Forscher eine Summe von 1,2 Milliarden Mark in den ersten zehn Kriegswochen.

Auch bei den Einschätzungen der ökologischen Kriegsfolgen reicht die Spanne der Meldungen von katastrophal bis beruhigend. Jugoslawische Quellen melden die Gefährdung tausender Menschendurch die Bombardierungen von Ölraffinerien und Chemiefabriken. So seien giftige Chemikalien aus Bränden und geborstenen Tanks in die Luft gelangt, die Donau sei durch auslaufende Chemikalien auf weiten Strecken verseucht. Das Grund- und Trinkwasser der Großstädte werde durch die Angriffe auf Chemieanlagen gefährdet. Auch ein internes Papier des deutschen Umweltbundes warnte vor möglichen ökologischen Langzeitschäden durch den Krieg. Bernhard Pötter