Mehr Rechtssicherheit in Europa: Scheidung leicht gemacht
Die Justizminister der EU beraten über eine Initiative von zwölf Mitgliedsstaaten. Die wollen Regeln festlegen, wie sich Ehen in Europa sicherer trennen lassen.
Ein deutscher Ehemann, der vielleicht zusätzlich einen türkischen Pass besitzt, eine österreichische Ehefrau und ein gemeinsamer Lebensmittelpunkt in Belgien hat: ein solcher Kulturenmix kann Juristen viel Kopfzerbrechen bereiten. Bei jedem fünften Paar in der EU treffen heute schon unterschiedliche Nationalitäten aufeinander. Wenn die Ehe auseinanderbricht oder einer der Partner stirbt, kommt zum persönlichen Kummer die rechtliche Unsicherheit. Denn im Ehe- und Familienrecht und in Fragen der Erbfolge orientiert sich in Europa unverändert jedes Mitgliedsland an seinen eigenen Rechtstraditionen.
Zwölf Mitgliedsländer haben sich nun zusammengetan, um wenigstens beim Scheidungsrecht etwas Ordnung in das Durcheinander zu bringen. Der rechtliche Schritt, den sie am Freitag beim Treffen der Justizminister in Luxemburg durchsetzen wollen, scheint auf den ersten Blick winzig. Sie wollen sich lediglich gemeinsame Regeln geben, welches nationale Scheidungsrecht greift, wenn sich zum Beispiel ein Deutscher und eine Österreicherin in Belgien scheiden lassen wollen.
Da in Belgien noch das Schuldprinzip gilt und auch der Zeitraum, ab dem eine Ehe als zerrüttet gilt, in jedem Land unterschiedlich ist, kann die Frage, welches Recht angewandt wird, bei dem Verfahren von großer Bedeutung sein. Fragen des Unterhalts oder des Sorgerechts für die Kinder sind jedoch in der neuen Regelung noch gar nicht enthalten.
Dennoch konnten sich die Mitgliedsstaaten jahrelang nicht einigen, welches Recht jeweils gelten soll. Schon 2006 hatte die EU-Kommission ein Verfahren vorgeschlagen. Die meisten Schwierigkeiten machte das liberale Schweden, wo die Ehe so einfach geschieden werden kann wie nirgendwo sonst in Europa. Stockholm will nicht riskieren, dass ein schwedischer Staatsbürger sich mit dem Scheidungsrecht eines anderen Mitgliedsstaates abquälen muss.
Zwölf Staaten, darunter Deutschland, wollen für ihre Bürger mehr Rechtssicherheit schaffen und die Möglichkeit der "verstärkten Zusammenarbeit" nutzen. Dieses Instrument stand im alten EU-Vertrag und wurde für den Lissabon-Vertrag weiter ausgebaut. Genutzt wurde es nie.
Das Verfahren ist kompliziert. Zunächst müssen alle Mitgliedsstaaten einstimmig grünes Licht für den Alleingang einer kleinen Gruppe geben. Auch das Europaparlament muss zustimmen. Dann können die zwölf Mitglieder der Initiative einstimmig Regeln beschließen, die im Rest der EU nicht gelten.
Der Präzedenzfall könnte Nachahmer finden. Denn die Vereinbarung grenzüberschreitender Spielregeln im Familien- und im Strafrecht geht vielen EU-Staaten zu langsam voran. Ein weiteres Beispiel ist das Erbrecht, das ebenfalls heute in Luxemburg auf der Tagesordnung steht.
Hinterbliebene müssen oft geschockt zur Kenntnis nehmen, dass die Verfügung ihres Partners über die Finca in Spanien oder den Weinberg an der Côte dAzur hinfällig ist. Nach französischem Recht werden die leiblichen Kinder begünstigt, auch wenn im Testament ausdrücklich der Ehepartner als Erbe eingesetzt wurde.
Eine Europäische Erbrechtsverordnung soll dafür sorgen, dass der Erblasser sich aussuchen kann, nach welchem Erbrecht er sein Testament verfassen will. Eine Aufspaltung des Nachlasses in unterschiedliche Rechtsregionen soll es nicht mehr geben. Die Verhandlungen übers Kleingedruckte können sich auch bei diesem kniffligen Thema jahrelang hinziehen. Im kleineren Kreis wären Kompromisse leichter zu finden. Am Ende wäre Europa jedoch ein rechtlicher Flickenteppich, in dem sich auch wieder nur die Spezialisten zurecht finden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind