: Mehr Radiomacher für Migranten
In dem Projekt „WDR Grenzenlos“ können junge Menschen mit Migrationshintergrund erste Erfahrungen als Radioreporter machen. So will der Sender für mehr migrantischen Journalistennachwuchs sorgen. Und: Ein breiteres Themenangebot soll das Programm für Nicht-Deutsche attraktiver machen
VON LUTZ DEBUS
Der WDR war alarmiert. Lernstandserhebungen und andere Untersuchungen hatten gezeigt, dass die Sprachkenntnisse bei Menschen mit Migrationshintergrund häufig mangelhaft sind. In der Tendenz kamen einige Wissenschaftler zu dem Ergebnis, dass man teilweise sogar von einer Verschlechterung der Deutschkenntnisse und einer schleichenden Desintegration ausgehen muss. Einen der Gründe sehen manche Experten in der Mediennutzung der MigrantInnen. Denn die Nutzung der muttersprachlichen Massenmedien via Internet, Satellit und Videothek nimmt weiter zu. Um die Attraktivität der deutschen Fernseh- und Radioprogramme für Migrantenfamilien zu steigern, forderte der Intendant des WDR, Fritz Pleitgen, bereits vor Jahren, mehr migrationsspezifische Themen in den Sendungen zu platzieren und mehr Mitarbeiter mit Migrationshintergrund einzustellen. Denn ein gutes Radio- und Fernsehprogramm, so das Kalkül, ist das beste Sprachlernprogramm.
Ein Ergebnis dieser Absichten ist das Projekt „WDR Grenzenlos“. In zwei Wochenkursen, die ein vierwöchiges Praktikum einrahmen, soll jungen Leuten mit Migrationshintergrund die Möglichkeit gegeben werden, erste Erfahrungen im Bereich Hörfunkjournalismus zu machen. Gastgeber der Aktion ist die Deutsche Hörfunkakademie in Oberhausen. Deren Leiter Hans Paukens erzählt begeistert von der Talentwerkstatt, die nun bereits zum dritten Mal veranstaltet wird.
Ist der Deutsche ein Liebhaber von Friedhofskunstblumen? Mit dieser Frage im Gepäck recherchierte ein Teilnehmer von „WDR Grenzenlos“ im vergangenen Jahr auf Friedhöfen im Ruhrgebiet. Doch der Erfolg blieb aus. Nur abbaubares, natürliches Zierwerk fand der junge Mann. Dieses Beispiel, erklärt Hans Paukens, zeigt eindrücklich, dass die Sicht von außen auf unser Land und unsere Lebensform oft neue und erhellende Perspektiven auch für die deutschen Inländer liefert. Denn in manch anderen Ländern gilt das Bestattungswesen der Deutschen als besonders geschmacklos. Krönung dessen ist laut dem Vorurteil die zügellose Verwendung von Plastikblumen in Trauergestecken. Dass die Realität dann doch ganz anders aussieht als das Stigma, hat alle Beteiligten schmunzeln lassen, erinnert sich der Akademie-Direktor.
Den Verantwortlichen bei Funk und Fernsehen, so Paukens, ist es inzwischen wichtig Mitarbeiter zu haben, die mit ihrem Insiderwissen sehr viel genauer ein Migrationsthema recherchieren und aufarbeiten können. Denn ein Bericht beispielsweise über islamische Traditionen birgt so manche Unwegsamkeit, wenn man in einem christlichen Haushalt aufgewachsen ist.
Der Erfolg des Projektes gibt den Planern recht. Von den zehn Teilnehmern des letzten Jahres machen vier ein Volontariat beim WDR, zwei sind bei anderen öffentlich-rechtlichen Sendern untergekommen. Eine Ex-Teilnehmerin, Pinar Abut, ist sofort fest eingestellt worden und arbeitet inzwischen als Moderatorin bei der WDR-Lokalzeit in Duisburg. Die elf aktuellen TeilnehmerInnen sitzen gerade beim Mittagessen zusammen, haben sich nach vier Wochen Praktikum eine Menge zu erzählen. Nur einige waren bei den Spartensendern und -redaktionen für Migrationsfragen. Viele machten Erfahrungen in den Redaktionen der Tagesschau, bei Einslive oder WDR 3. „Ganz klar ist WDR 3 der Intelektuellensender“, sagt einer der Teilnehmer stolz. Natürlich, so erklärt Hans Paukens, sei Funkhaus Europa, inzwischen bei vielen Migrantinnen ein beliebter Sender. Aber die diesjährigen TeilnehmerInnen von „WDR Grenzenlos“ möchten nicht in der Nische bleiben. „Die wollen keine Quotenausländer sein.“
So einfach ist die Zuordnung „Ausländer“ nach mehreren Jahrzehnten, in denen die Bundesrepublik faktisch ein Einwanderungsland ist, sowieso nicht. Eine der Teilnehmerinnen von „WDR Grenzenlos“, Kornelia Turkiewicz, stammt zwar aus Polen, ist aber in Kanada aufgewachsen. Die 21-Jährige spricht fließend Deutsch, Englisch, Polnisch und recht gut Französisch. Für Einslive fragte sie junge Menschen, was sie von dem Vokaltrio „Monrose“ halten, die, als Castingband gestartet, beinahe das Land beim Eurovision Song Contest vertreten hätte. Fühlen sich Jugendliche türkischer, italienischer oder marokkanischer Herkunft durch die drei berühmten Mädchen aufgewertet?
Neben Kornelia Turkiewicz sitzt Dana Alexandra Sora. Die 24-Jährige kommt aus dem rumänischen Sibiu. Hermannstadt, wie der Ort von den dort lebenden Deutschen genannt wird, ist in diesem Jahr Kulturhauptstadt Europas, berichtet Dana Alexandra Sora mit einem Lächeln. „Bereits im Alter von 16 Jahren habe ich erste Artikel für die deutschsprachige Zeitung dort verfasst.“ Seit fünf Jahren lebt und studiert sie in Deutschland und sieht auch hier ihre berufliche Zukunft. Für sie war es besonders spannend, mit der aufwendigen Technik eines Fernsehstudios konfrontiert zu werden. Für die Lokalzeit Düsseldorf portraitierte sie einen Mann, der nach einem schweren Motorradunfall seinen Arbeitsplatz behindertengerecht umgestalten musste. Kein Migrationsthema, räumt die junge Journalistin ein. „Aber meine Großmutter war ja auch Deutsche“, schmunzelt sie.
Mit einem wirklich prominenten Gesprächspartner führte Cezary Bazydlo ein Interview. Anlässlich des Kinostarts von „Strajk – Die Heldin von Danzig“, dem umstrittenen Film von Volker Schlöndorff, telefonierte der 27-jährige Bazydlo mit dem ehemaligen polnischen Staatspräsidenten Lech Walesa. Dabei kam ihm nicht nur zu Gute, dass er fließend Polnisch spricht. Bazydlo lebte auch lange in Gdansk, kennt Walesa, weiß, wie man ihn fragen sollte. „Hat eher Polen oder Deutschland den Kommunismus erledigt?“ Antwort Walesa: „Der Fall der Mauer war doch nur noch Fahnenflucht.“ Eine solch spektakuläre Aussage hätte ein anderer Mitarbeiter von WDR 3 dem Friedensnobelpreisträger wahrscheinlich nicht entlocken können.
Die Leiterin des Projektes „WDR Grenzenlos“, Hella Sinnhuber, ist gespannt auf die Abschlusspräsentation Ende des Monats in Köln. Bis dahin müssen die elf Teilnehmenden noch weitere Beiträge produzieren. Deshalb mahnt sie die jungen Leute zur Eile. Schnell erzählt noch einer der Teilnehmer, ein junger Mann aus Indien, eine Anekdote. Durch Zufall war er bei einem Termin Hape Kerkeling begegnet und hatte ihm sofort von dem Projekt „WDR Grenzenlos“ berichtet. Kerkeling war offenbar begeistert. Ohne seine üblichen Mätzchen sagte er ganz ernsthaft zu den jungen Leuten: „Ihr seid die blühenden Landschaften! Ich zähl auf Euch!“