Mediziner über die Pflicht zur Sterbehilfe: "Ärzte sind nicht Gott"
Wenn ein unheilbar kranker Patient sterben will und dabei Hilfe braucht, darf sein Arzt ihn nicht im Stich lassen. Das fordert der Mediziner Gerald Wolf.
taz: Herr Wolf, die Aufgabe von Ärzten ist, Menschen zu heilen. Warum sollten sie sich an der Tötung von Kranken beteiligen?
Gerald Wolf: Es geht hier nicht um Tötung, sondern um Beihilfe zur Selbsttötung. Das ist ein Riesenunterschied.
Ja, aber am Ende ist der Patient tot - dank ärztlicher Beihilfe.
Ärzte sind nicht Gott. Der Heilung von Menschen, die unbestritten das oberste Gebot für ärztliches Handeln ist, sind Grenzen gesetzt. Grenzen, die in der Natur der Erkrankung liegen und dem derzeitigen Entwicklungsstand geschuldet sind. Wenn ein Arzt erkennt, dass ein Patient unheilbar krank ist, eine palliativmedizinische Behandlung ablehnt und nach offenkundig reiflicher Überlegung den Wunsch äußert, dieses Leben nicht mehr fortsetzen zu wollen, dann darf dieser Arzt seinen Patienten nicht im Stich lassen.
Sondern muss ihm den Wunsch erfüllen?
Es kann in dieser Frage keinen Zwang oder gar Automatismus geben. Aber ein Arzt, der seinen Patienten gut kennt, der weiß, dass der Patient seinen Sterbewunsch frei verantwortlich, klar und nachhaltig geäußert hat, ihn sich aber unmöglich selbst erfüllen kann: Dieser Arzt muss zumindest abwägen dürfen, ob er ärztliche Beihilfe für geboten hält.
GERALD WOLF, 67, Mediziner und Biologe, war bis 2008 Direktor des Instituts für Medizinische Neurobiologie an der Uni Magdeburg, und ist im Kuratorium des Humanistischen Verbands.
Warum?
Ansonsten, das zeigt die Praxis, gehen diese Patienten mitunter Wege, die Grausamkeit gegen sich selbst bedeuten mögen. In ihrer Verzweiflung setzen sie etwa Angehörige unter Druck und bringen sie so in einen fürchterlichen moralischen Konflikt. Oder sie versuchen, sich selbst zu töten und schrecken selbst vor dem Messer nicht zurück. Wenn dies dann misslingt, bedeutet das für ihr Weiterleben zusätzliche Qualen. Deswegen sage ich: Das Recht des Patienten, vor der Zeit auszusteigen, ist ein wichtiges Rechtsgut, das nicht ignoriert werden kann.
Die Bundesärztekammer will Ärzten diese Beihilfe aber verbieten, weil der Tod nun mal keine ärztliche Leistung sei. Irrt sie?
Es wird damit der Versuch unternommen, das Gewissen von Ärzten zu normieren. Jeder, der sich erlaubt, in einer so bedeutsamen Frage vorschnell ein Urteil zu fällen, sollte bedenken, dass er in ein paar Jahrzehnten genau in der gleichen Situation sein könnte - in seinem Sterbewunsch von ärztlicher Beihilfe abhängig zu sein, damit aber allein gelassen zu werden.
Indem Sie den ärztlich assistierten Suizid für akzeptbabel erklären, nehmen Sie Druck aus der Debatte, die palliativmedizinische Versorgung zu verbessern: Schnelles Sterben kommt billiger.
Ich sehe eine andere, größere Gefahr: Wird ein striktes berufsrechtliches Verbot aussprechen, Geldbußen und Approbationsentzug inklusive, dann befördern wir den unwürdigen Selbsttötungstourismus in Richtung Schweiz oder Niederlande. Wir liefern die Sterbewilligen damit Organisationen aus, die an der Tötung auf Wunsch auch noch verdienen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“