Meditation gegen psychische Erkrankungen: Der Guru mit dem Turban

Techniken der Selbstberuhigung finden sich in alten spirituellen Methoden - und werden von Psychotherapeuten empfohlen. Die Hirnforschung beweist deren Wirksamkeit.

Depressive Menschen, die regelmäßig meditieren, werden seltener rückfällig. Bild: dpa

Viele Jahre schon litt die Mediengestalterin Lisa B. an einer Angststörung. In einer Therapie schlug man ihr vor, in ihrer Fantasie einen "inneren Helfer" zu erfinden, der sie mental stützte. B. dachte sich einen Heiler aus, einen freundlichen, heiteren Mann mit Turban und indisch gefärbtem Englisch, der ihr in kritischen Situationen Mut zusprach, sie aber auch davor warnte, zu viel Sicherheit in ihrem Leben zu erwarten und damit ihre Angst noch zu vergrößern.

7.000 Teilnehmer in mehr als 500 Veranstaltungen tagen auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN), der noch bis zum Wochenende im Berliner ICC läuft und nach eigenen Angaben der größte Kongress dieser Art in Europa ist. Ein kleiner Teil der Veranstaltungen widmet sich philosophischen Themen, darunter auch der Rolle von Spiritualität und Religion in der Psychiatrie und Psychotherapie. Das Symposium am Donnerstag dazu war überfüllt. Am Freitagmorgen gibt es dazu vier Veranstaltungen. www.dgppn-kongress.de

B. lernte außerdem, jeden Morgen 15 Minuten zu meditieren. Ihr Fantasieguru und die Meditation gehören inzwischen zu ihrem "inneren Stützsystem", sagt die 45-jährige Berliner Medienfrau heute.

Sich so selbständig Helfer in der Fantasie zu basteln ist zwar ungewöhnlich. Imaginative Techniken und Meditationsverfahren werden heute aber in manchen Psychotherapien als ergänzende Methoden der Selbststabilisierung empfohlen, wenn es sich bei der seelischen Erkrankung nicht um eine offene Psychose handelt. Dabei sind Techniken in Gebrauch, wie sie sich ähnlich auch in religiösen Zusammenhängen finden.

Vor allem Meditationstechniken sind heute anerkannt - so etwa in Selbstversenkungen, wenn Patienten ihre Atemzüge zählen, sich auf Bilder konzentrieren oder einfach nur auf ihre Körperwahrnehmung achten. "In der Verhaltenstherapie ist die buddhistische Achtsamkeitsmeditation wesentlich geworden", erklärte der Religionspsychologe Michael Utsch aus Berlin. Er hielt einen Vortrag zum Thema "Religiösität in Psychiatrie und Psychotherapie" auf dem derzeit laufenden Kongress der Psychiatriegesellschaft DGPPN.

Die Wirksamkeit dieser Praktiken ist inzwischen naturwissenschaftlich erwiesen. Der US-Psychologe Richard Davidson hat durch Experimente mit buddhistischen Mönchen bestätigt, dass regelmäßiges Meditieren Hirnwellen beeinflussen, Stress vermindern und kognitive Leistungen fördern kann. Studien ergaben, dass depressive Menschen seltener rückfällig werden, wenn sie regelmäßig meditieren.

Ähnliche Techniken gibt es auch in der christlichen Mystik. Die Religionswissenschaftlerin Hildegard Gosebrink schreibt in "Das Geheimnis schauen. Grundkurs christliche Mystik", dass das Murmeln von Psalmen oder das Beten des Rosenkranzes "gar nicht so weit entfernt" sei von dem, was "Meditationstechniken heute versprechen". Das ständige Wiederholen bestimmter Sätze, am besten halblaut gemurmelt, wirkt im Hirn als Ablenkung und Kontrolltechnik über negative Gedanken.

Das bewusste Schaffen von "Parallelspuren" im Hirn spielt in Angsttherapien eine große Rolle. "Es geht darum, eine innere ,Parallelspur' anzulegen, die neben die emotionale Aktivierung eine ich-geführte, bewusste Tätigkeit stellt", erklärt der Psychiater Eckard Roediger in seinem Buch "Wege aus der Angst". Roediger war lange am anthroposophisch orientierten Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe in Berlin tätig. Dort empfiehlt man beispielsweise Patienten, bei Panikattacken in Siebenerschritten ab 100 rückwärts zu zählen, um herauszukommen aus dem hirnphysiologisch getriggerten Angstkreis.

Spirituellen Techniken entlehnt sind auch Strategien in der Traumatherapie, wo die Patienten lernen, sich mithilfe ihrer eigenen Imagination zu stützen. Die Psychiaterin Luise Reddemann empfiehlt ihren PatientInnen in ihrem Buch "Imagination als heilsame Kraft", sich "hilfreiche innere Wesen" und "sichere Orte" auszudenken zur persönlichen Stabilisierung. Das können freundliche Fabelwesen oder Meeresstrände sein, aber auch ein stützender "Wunsch-Vater", eine Höhle oder Ritterburg. Dies erinnert an die bildhafte Sprache in der Bibel, wo es von helfenden und bedrohlichen Figuren nur so wimmelt. Die "meisten religiösen Schriften sind verpackt in bildhafte Sprache, weil Urbilder da etwas freisetzen", sagt Utsch im Gespräch mit der taz. Das Bildhafte aktiviert andere Hirnfunktionen als das Sprachlich-Analytische - was übrigens auch jeder Werbefachmann weiß.

Roediger weist daraufhin, dass Gebete "neuronale Muster" aktivieren können, die mit Erinnerungen an äußere helfende Instanzen verbunden sind, sofern man diese in der Kindheit erfahren hat. Spätestens hier aber wird es heikel - schließlich ist die Psychoanalyse ja mal angetreten, den Menschen zu emanzipieren von seinem Über-Ich und den verbietenden und Schuldgefühle erzeugenden Instanzen aus seiner Kindheit. Wer aber in seiner Kindheit ein strenges, bedrohliches Gottesbild verinnerlichte, der will mit allem Religiösen kaum noch etwas zu tun haben. Das Gottesbild werde "überformt von biografischen Erfahrungen", sagt Utsch.

Im Erleben schizophrener Patienten mache etwa die Grundannahme, ob ein Gott eher mit "Hoffnung" oder eher mit "Strafe" verbunden werde, "erhebliche Unterschiede", sagte der Psychiater Frank-Gerald Pajonk aus dem niedersächsischen Liebenburg auf dem DGPPN-Kongress. Ein "enges Glaubensleben" mit der "Betonung von Schuld, Verbot und Strafe" könne die Entstehung von Angst- und Zwangserkrankungen und Depressionen fördern.

Deswegen gibt es auch psychische Störungen, in denen die Selbstversenkung via Meditation oder der Ausbau einer imaginativen Welt völlig kontraindiziert sind. Pajonk zitierte aus einer ägyptischen Studie, wo Psychotiker, die zusätzlich zur Medikamententherapie noch eine spirituelle Behandlung bekamen, öfter Rückfälle erlitten als nur konventionell behandelte Patienten.

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