piwik no script img

MedienDas Ende der„Neckarquelle“

Ein herber Verlust für Schwenningen: Nach 144 Jahren ist die Lokalzeitung „Neckarquelle“ verkauft worden und behält nur ihr altes Layout. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft.

Äußerlich sieht die Zeitung aus wie immer. Foto: Wolfgang Messner

Von Wolfgang Messner

Der Tag, an dem die „Neckarquelle“ zum letzten Mal erschien, war ein Montag. Dieser 13. Mai 2024 war ein traurig-trüber Frühlingstag. Am Tag darauf wurde in Schwenningen, im württembergischen Stadtteil von Villingen-Schwenningen, zwar auch eine Zeitung gedruckt, die „Neckarquelle“ hieß. Aber es war nicht mehr das gleiche Blatt.

144 Jahre lang waren Schwenningen und die „Neckarquelle“ untrennbar miteinander verbunden. Dann hatte der „Schwarzwälder Bote“ („Schwabo“) die 1880 einst als „Volksblatt der württemberg-badischen Grenze“ gegründete Zeitung geschluckt. Und man darf es wohl als eine besondere Gemeinheit ansehen, dass die Wetteraufzeichnungen für jenen Dienstag, 14. Mai, den ersten Tag der neuen „Neckarquelle“, als „sonnig“ vermerken.

Mit heiterem Gemüt betrachtet das Verlagsmanagement des „Schwarzwälder Boten“ die Übernahme. Und ganz überraschend kam sie auch nicht, seit der „Schwabo“ und die „Neckarquelle“ vor 20 Jahren ein gemeinsames Druckzentrum gebaut hatten. Die Übernahme, sie hatte sich schon seit Jahren abgezeichnet und hing wie ein Damoklesschwert über der Redaktion.

Die überregionalen Mantelseiten bezog die „Neckarquelle“ dennoch nicht vom „Schwabo“, sondern schon seit vielen Jahrzehnten aus Ulm von der dortigen „Südwest Presse“, wo die Lokalverleger aus Schwenningen auch Gesellschafter waren. Aber in Ulm hatte man offenkundig keine Ambitionen, das Schwenninger Lokalblatt zu übernehmen.

Ende März dieses Jahres war es dann soweit. Ohne irgendeine Vorwarnung gaben die beiden Geschäftsführer und Verleger der „Neckarquelle“, Hans-Ulrich Ziegler (er hielt 63,6 Prozent der Anteile) und sein Sohn Axel Ziegler (18,2 Prozent), bekannt, dass Schluss ist und die Hermann Kuhn GmbH & Co. KG an den ewigen Konkurrenten übergehen wird. Der „Schwabo“ hatte bis dahin im badischen Villingen zwar gut ein Drittel des Marktes behaupten können, doch in Schwenningen hatte er nie einen Fuß auf den Boden bekommen.

Warum der Titel aus dem Reich des SWMH-Konzerns sein Gebiet in den tiefen Südwesten erweitern konnte, mochten beide Parteien damals nicht kommentieren. Zur SWMH gehören neben der „Süddeutschen Zeitung“ und den beiden fusionierten Stuttgarter Zeitungen, der „Stuttgarter Zeitung“ und den „Stuttgarter Nachrichten“, bis hinauf nach Coburg in Bayern dutzende Zeitungen sowie Radio- und Fernseh-Beteiligungen. Dass beide Seiten schweigen, hat sich bis heute nicht geändert. Allerdings war klar, dass die „Neckarquelle“ unter immer größerem wirtschaftlichen Druck stand.

Trotz der ganzen Malaise werden die Verleger Ziegler von ehemaligen Redakteur:innen dafür gelobt, dass sie so lange durchgehalten haben, obwohl es immer schlechter lief. Auch dass sie bis zuletzt immer noch ordentliche Gehälter zahlten, wird ihnen hoch angerechnet. So viel wird‘s beim „Schwabo“ nicht mehr geben. Man habe bei der „Neckarquelle“ ja exorbitant bezahlt, mussten sich die Beschäftigten vom „Schwabo“-Geschäftsführer Carsten Huber und der Prokuristin Kirsten Wolf anhören. Dabei hatten sich die Altverleger nur an den gültigen Tarifvertrag gehalten. Bis dann im März schließlich Schluss, Aus, Ende war.

Im Frühjahr 2023 vermeldete die „Neckarquelle“ noch eine Abo-Auflage von 4.752 Exemplaren. Vor zehn Jahren waren es noch 6.964 Stück, vor 20 Jahren gar 9.282 Exemplare gewesen. Aus Redaktionskreisen ist zu hören, dass die Vollabos kurz vor der Übernahme bei gerade noch 3.750 Stück lagen. Bereits im Jahr vor Corona (2019) wies der Hermann Kuhn Verlag einen Jahresfehlbetrag von 131.000 Euro aus, wie der Branchendienst „kress“ herausgefunden hatte.

Der Zeitungskonzern SWMH ist unersättlich

Für die „Südwest Presse“ in Ulm ist der Abgang der „Neckarquelle“ ein erheblicher Verlust, konnte man doch Jahr für Jahr einige Hunderttausend Euro aus der Doppelstadt für den Bezug der Mantelseiten fast eins zu eins ins Ergebnis buchen. Insider sprechen von einem Betrag zwischen 300.000 und 400.000 Euro jährlich.

Ein Totalverlust wäre der Übergang beinahe auch für die Zieglers geworden, denn kleine Lokalzeitungen wie die „Neckarquelle“ sind am Markt heute nichts mehr wert. Allerdings war es dazu nicht gekommen. Bereits im Oktober 2022 hatten die Kommanditisten, also die geschäftsführenden Zieglers, laut der im Handelsregister veröffentlichten Bilanz 2022 rund 900.000 Euro entnommen. Unter anderem „durch Entnahmen entstandenes Kapital der Kommanditisten“ sank die Bilanzsumme von rund 3,7 auf knapp 2,4 Millionen Euro. „Ausgecasht“ wird das in Finanzkreisen genannt, wenn einer für den Verkauf vorbereiteten Gesellschaft vorzeitig das Kapital entzogen wird. Vater und Sohn Ziegler bestreiten gegenüber Kontext jedoch, 900.000 Euro „mitgenommen“ zu haben.

Gegenwärtig prüfen die Staatsanwaltschaft Konstanz und das Insolvenzgericht, ob die Hermann Kuhn GmbH & Co. KG aus diesen Gründen bei Übernahme nicht unterkapitalisiert und damit insolvenzgefährdet war. Die Zieglers sehen das anders. Die Hermann Kuhn GmbH & Co. KG sei zu keinem Zeitpunkt „unterkapitalisiert und insolvenzgefährdet, nämlich weder zahlungsunfähig noch überschuldet“ gewesen, teilt Axel Ziegler mit. „Das Kapital reichte für den Betrieb des Zeitungsverlags völlig aus, es gab keine Bankschulden und alle Verbindlichkeiten wurden durch flüssige Mittel ordnungsgemäß und pünktlich erfüllt.“

Immerhin scheint der Altverleger Hans-Ulrich Ziegler es geschafft zu haben, sich auch weiterhin die Mieteinnahmen der Redaktionsräume zu sichern. Wie intern bekannt gegeben wurde, wird der „Schwarzwälder Bote“ noch in diesem Herbst mit seiner neu geschaffenen Lokalredaktion von Villingen nach Schwenningen umziehen. Dort soll sie das von der „Neckarquelle“ Ende 2013 bezogene und zuvor aufwendig auch mit öffentlichen Geldern renovierte „Burenhaus“ am Schwenninger Marktplatz weiter nutzen, das Altverleger Ziegler über eine Grundstücks-GmbH gehört.

Der „Schwarzwälder Bote“ hatte mehrfach eine Stellungnahme zu allen hier angesprochenen Sachverhalten zugesagt. Die Geschäftsleitung versprach, einen Katalog von 28 Fragen und alle weiteren Nachfragen von Kontext zu beantworten. Am Ende jedoch verweigerte der „Schwabo“ jegliche Auskunft.

Die Verschwiegenheit mag man als unangemessen betrachten für ein Medium, das damit wirbt seit seiner Gründung 1835 als „große regionale Tageszeitung“ für „bedeutende Informationsdienstleistung in Baden-Württemberg“ verantwortlich zu sein. Es ist aber die übliche Haltung von Verlagshäusern, die sich in eigener Sache oft verschlossen geben. Mit Information, Transparenz und Wahrhaftigkeit in eigener Sache hat man es meist nicht so sehr.

Eine Marktbereinigung wie im Fall von Villingen-Schwenningen ist für Konzerne wie die SWMH und ihren Gesellschafter „Schwarzwälder Bote“ mittlerweile ohnehin Alltagsgeschäft. Für die heute rund 35.000 Einwohner Schwenningens und seine Umgebung aber ist der Verlust groß. Denn die „Neckarquelle“ war keine Lokalzeitung wie andere.

Das lag zuvorderst an dem legendären, langjährigen Redaktionsleiter Karl Rudolf Schäfer, der mehr als 40 Jahre die Verantwortung für die Zeitung getragen hatte. Da er sich von der „Südwest-Presse“ in Ulm nichts sagen lassen musste, sondern als lokaler Chefredakteur die Inhalte und Ausrichtung selbst bestimmten konnte, hat er nach und nach eine kleine, feine Zeitung erschaffen.

Die „Neckarquelle“ verwöhnte zu Schäfers Zeiten und lange danach ihr Publikum täglich mit einer lokalen Seite drei und einem Kommentar. Dazu gab‘s jeden Samstag ein großes Interview nicht nur mit Lokalgrößen und einen Leitartikel zu dem wichtigsten Thema der Woche. Ein Markenzeichen war auch immer das kleine, streiflichtartige Fundstück namens „Vom Tage“ auf der ersten Lokalseite. Neben den vielen exklusiven Geschichten aus der Doppelstadt und ihrer Umgebung stellte das kleine Team aus acht Redakteurinnen und Redakteuren regelmäßig eine lokale Kulturseite, jede Woche eine Kinderseite und zum Wochenende eine Kirchenseite zusammen

Das war wohl auch nötig in einer landesweit einmaligen Konkurrenzsituation. Viele Jahre buhlten in der 1972 vereinigten Doppelstadt vier Zeitungen um die Gunst der 85.000 Einwohner. Als erste musste Ende der 1990er-Jahre die „Badische Zeitung“ in Villingen die Segel streichen. Nun teilen sich der „Schwarzwälder Bote“ und der in Villingen dominierende „Südkurier“ den immer mehr schrumpfenden Lesermarkt auf. Da die Leserschaft solcher Regionalzeitungen mittlerweile ein Durchschnittsalter von rund 70 Jahren erreicht hat und niemand weiß, wo neue und junge Leute herkommen sollen, dürfte der Schrumpfungsprozess noch lange nicht an sein Ende gekommen sein.

In der „Neckarquelle“ ist jetzt „Schwabo“ drin

Bei der neuen „Neckarquelle“ sind die Folgen schon jetzt spürbar. Seit der „Schwabo“ übernommen hat, sind Kultur-, Kinder- und Kirchenseite verschwunden. Die neue Geschäftsleitung hat sie für überflüssig erklärt. Die Abonnenten sehen dies anders, wie die vielen Kündigungen zeigen. Denn die Schwenninger Leser ärgern sich, dass sie statt ihrer gewohnten „Neckarquelle“ den Inhalt des „Schwarzwälder Boten“ vorgesetzt bekommen, wo oft viel über Villingen und seine umliegenden Gemeinden steht, aber für Schwenningen am Ende nur eine Seite übrigbleibt. Immerhin: der „Schwabo“ erscheint im gewohnten Grün und die „Neckarquelle“ in ihrem Blau, womit aber auch schon der wesentliche Unterschied markiert ist.

Es verwundert wenig, dass der „Schwabo“ die meisten der knapp 30 „Neckarquelle“-Angestellten für überflüssig ansah. Von der Redaktion durften praktischerweise nur die beiden Redakteurinnen bleiben, die den Betriebsrat repräsentierten. Allerdings mit neuen und weniger attraktiven Arbeitsverträgen ausgestattet, wie zu hören ist. So hält man den Widerstand überschaubar.

Mit Redaktionsleiter Ralf Trautwein und seinem Stellvertreter Berthold Merkle mussten weitere zwei Redakteure und eine Redakteurin sowie alle noch verbliebenen Mediengestalter, Anzeigenvertreter und Mitarbeiterinnen der Geschäftsstelle gehen oder bekamen neue Stellen zu schlechteren Konditionen angeboten.

Die Gekündigten hingegen zogen vors Arbeitsgericht, um auf eine anständige Abfindung oder eine Wiederanstellung zu klagen. Dies sogar mit Aussicht auf Erfolg. Denn vor Gericht soll der „Schwarzwälder Bote“ spätestens bis Ende Oktober darlegen, warum er zwei Redakteurinnen weiterbeschäftigt, andere Redakteure aber nicht. Die Arbeitsrichter wollen auch wissen, nach welchen Kriterien gekündigt wurde. Es dürfte für den „Schwarzwälder Boten“ schwer werden, mit einer Betriebsaufgabe zu argumentieren. Es kommt ja weiter jeden Tag eine Zeitung heraus, die „Neckarquelle“ heißt, aber nicht mehr die „Neckarquelle“ ist.

Gemeinsam für freie Presse

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen