Maurice Höfgen Was kostet die Welt?: Verschuldung zu verteufeln und Sparen zur Tugend zu erklären, ist ein logischer Trugschluss – von dem man schon im Matheunterricht hören sollte
Wirtschaft geht uns alle an. Wir produzieren, wir konsumieren, wir vermarkten, wir sparen, wir nehmen Kredite auf, sind Teil davon. Deshalb sollten wir alle informiert über Wirtschaft sprechen, debattieren können. Braucht es also Wirtschaft als eigenes Fach in der Schule?
Kommt drauf an, was damit gemeint ist. Häufig steckt hinter dem Vorschlag nämlich die Vorstellung eines Schulfachs, das auf private Finanzen ausgerichtet ist – und aufs Erwachsenenleben vorbereiten soll. Also über Aktien, Versicherungen, Altersvorsorge, Steuern aufklären soll. Das klingt zwar nützlich, setzt aber an der falschen Stelle an. Das Defizit liegt nicht darin, dass Menschen zu wenig über einzelne Finanzprodukte wissen. Das Problem ist, dass wir fast alle makroökonomisch falsch denken.
Wir denken betriebswirtschaftlich, also so, wie es für eine einzelne Person oder eine einzelne Firma sinnvoll ist – und schließen davon auf das große Ganze. Das ist menschlich. Aber es führt zu falschen Schlussfolgerungen. Ein klassisches Beispiel: Im Kino kann eine Person aufstehen, um besser zu sehen. Wenn aber alle aufstehen, sieht am Ende niemand besser. Es wird für alle nur unbequemer. So funktioniert Wirtschaft, nur etwas komplizierter und mit ernsteren Folgen.
Eine einzelne Person kann mehr sparen, um für die Zukunft vorzusorgen. Wenn aber alle mehr sparen, bricht die Nachfrage ein – und damit die Wirtschaft. Denn die Ausgaben des einen sind die Einnahmen des anderen. Ebenso sind die Schulden des einen die Ersparnisse eines anderen. Trotzdem werden öffentliche Debatten so geführt, als gäbe es diese Zusammenhänge nicht. Da wird gefordert, der Staat müsse wie eine schwäbische Hausfrau sparen. Dass der Staat dann private Einkommen kürzt, fällt unter den Tisch.
Es gibt noch viele andere Beispiele. Eine einzelne Firma kann durch Lohnkürzungen wettbewerbsfähiger werden. Wenn aber alle die Löhne drücken, bricht der Konsum ein – und am Ende schaden sich alle selbst. Und so wenig, wie alle am Pokertisch gewinnen können, können alle mit Bitcoins Spekulationsgewinne machen. Oder eine Ebene größer: Deutschland hat einen großen Exportüberschuss, aber nicht jedes Land kann so viel exportieren. Der Exportüberschuss des einen Landes ist der Importüberschuss eines anderen. Die Welt als Ganzes kann nicht mehr exportieren als importieren. Genauso wenig wie auf der Welt niemand sparen kann, ohne dass sich wer anders verschuldet. Verschuldung zu verteufeln und Sparen zur Tugend zu erklären, ist also ein logischer Trugschluss.
Hinter alldem steckt makroökonomische Logik. Denken in Gesamtzusammenhängen. Das wird aber in der Schule aber nicht vermittelt. Im Unterricht lernt man Zinsrechnung, aber nicht, warum gesamtwirtschaftliches Sparen gefährlich sein kann. Und wer das nie gelernt hat, wird selbst kaum darauf kommen. Weil es eben für das eigene Leben, die eigenen Finanzen, die eigene Firma nicht relevant ist. Sehr wohl aber für die Wirtschaftspolitik, über die man an der Wahlurne abstimmt.
Makroökonomie ist im Kern logisches Denken. Man könnte sie problemlos in Mathematik unterbringen. Wer versteht, dass Schulden und Ersparnisse immer zwei Seiten derselben Medaille sind, ist schon einen großen Schritt weiter als viele Wirtschaftskommentare. Für die Demokratie wäre das ein enormer Gewinn. Öffentliche Debatten würden rationaler, populistische Vereinfachungen schwerer. Und Wahlentscheidungen informierter.
Maurice Höfgen, 29, ist Autor und Ökonom. Hier überlegt er einmal monatlich, wie sich wirtschaftliche Utopien umsetzen ließen.
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