: Mauerschützenprozeß neu aufgerollt
■ Angeklagter bestreitet Tötungswillen
Berlin (AFP) – Der erste Mauerschützenprozeß um die Tötung des DDR-Flüchtlings Chris Gueffroy ist gestern vor dem Berliner Landgericht neu aufgerollt worden. Die Verhandlung war notwendig geworden, weil der Bundesgerichtshof (BGH) die dreieinhalbjährige Freiheitsstrafe für den früheren DDR-Grenzer Ingo Heinrich und den Freispruch für seinen Vorgesetzten Mike Schmidt aufgehoben hatte. Heinrich sagte vor Gericht, er habe nur auf Gueffroys Füße schießen wollen, um ihn „fluchtunfähig“ zu machen. Heinrich und Schmidt sollen im Februar 1989 gemeinsam mit zwei weiteren DDR-Grenzposten an der Berliner Mauer auf die flüchtenden Gueffroy und Christian Gaudian geschossen und dabei deren Tod billigend in Kauf genommen haben. Laut Anklage handelte Heinrich auf Befehl seines Postenführers Schmidt. Während Gaudian nur am Fuß verletzt wurde, starb der 20jährige Gueffroy an einem Herzschuß. – Den im Januar 1992 gefällten Freispruch Schmidts hatte der BGH im vergangenen Jahr mit der Begründung aufgehoben, er habe bei dem Befehl „Schieß doch!“ nicht davon ausgehen können, daß Heinrich nur auf die Füße Gueffroys zielen würde. Die Freiheitsstrafe für Heinrich wurde als zu hoch angesehen. Das Landgericht habe nicht berücksichtigt, daß der Angeklagte auf Befehl handelte und in der Militärhierarchie ganz unten stand, begründete der BGH seine Entscheidung. Die gegen einen Mitangeklagten verhängte Bewährungsstrafe wurde vom BGH aufgehoben. Bestätigt wurde lediglich ein Freispruch gegen einen vierten Angeklagten. Schmidts Anwalt forderte am Rande der Verhandlung erneut Freispruch für seinen Mandanten. Als unverständlich bezeichnete er, daß vier Jahre nach der Wende die Verantwortlichen für den Schießbefehl an der innerdeutschen Grenze noch immer nicht zur Rechenschaft gezogen worden seien. Man verurteile die „Kleinen“, anstatt „das Feld von oben aufzurollen“.
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