Mauerfall-Jubiläum: Einheitsburger für Mauertouristen
Die McDonalds-Filiale vervollständigt die Verwandlung der einstigen Frontlinie des Kalten Kriegs in eine lukrative Touristenattraktion. Wer hier das authentische Mauerflair vermisst, kriegt beim Burgerbrater wenigstens die passende Deko.
Es ist ein ruhiger Tag für die beiden Grenzsoldaten-Darsteller am Checkpoint Charlie. Seit den frühen Morgenstunden nieselt es - nicht gut für das Geschäft am früheren Grenzübergang. Die Grenzer passen heute nur noch darauf auf, dass kein Tourist versucht, sich für lau mit ihnen fotografieren zu lassen. Wer für das Fotoalbum von den beiden strammen amerikanischen Soldaten umarmt werden will, soll zwei Euro blechen. An guten Tagen stehen die Touristen aus aller Welt dafür Schlange. Seit Juni 2010 gibt es einen neuen Bildhintergrund auf den Schnappschüssen: ein großes, gelbes "M".
Das Symbol für westlichen Konsums schlechthin passt gut an den disneylandisierten Ort. Für alle Einheitstouristen, die beim Kontrollhäuschen vergeblich nach der Mauer suchen, schafft die neue McDonalds-Filiale ein wenig Abhilfe. Das 600 Quadratmeter große Restaurant mit 169 Sitzplätzen kommt in einem speziell auf den Ort zugeschnittenen Stil daher. Graffiti an den Wänden sollen auf den Grenzwall anspielen. Es gehe aber nicht darum, mit der Filiale Politik zu machen, stellt McDonalds-Sprecher Martin Nowicki klar. "Mit der Gestaltung wollten wir dem historischen Ort gerecht werden. Wir haben uns für den Standort entschieden, weil es ein lukrativer und prominenter Platz ist."
Geld verdienen, das kann man hier wirklich gut. Im Mauershop wandert Kalter-Krieg-Kitsch wie Mauersteine für 25 Euro über den Ladentisch. Wer ein praktischeres Andenken sucht, kauft eine Pelzmütze mit Sowjetstern oder ein "You are leaving the american sector"-T-Shirt. Nicht zu vergessen die Checkpoint-Currywurst. Auch bei McDonalds brummt das Geschäft, bestätigt Nowicki. Zahlen will er aber keine nennen. Jedenfalls stehen die Kunden hier, anders als bei den Grenzern, auch bei Regen Schlange. Die Ausstattung des Restaurants ist deutschlandweit einzigartig. "Lim Extreme" heißt das Design der "Flagship"-Filiale, das für Urbanität und Jugendkultur stehen soll. Es gehe nicht darum, mit dem Standort ein Symbol zu setzen, sagt Nowicki.
Bei der Eröffnung im Juni sah das noch anders aus. Da holte McDonalds allerhand Prominenz ins Boot, also ins "Flagship", um sie über politisches Engagement diskutieren zu lassen. "Wer sich nicht einmischt, kann erleben, dass er selbst aufgemischt wird", so die leicht verdauliche Formel von Ex-Außenminister Hans-Dietrich Genscher in der Burgerbude. Er erinnerte daran, dass es ohne Bürgereinsatz keinen Mauerfall gegeben hätte.
Ex-Profiboxer Henry Maske warb für die Unterstützung von sozial benachteiligten Kindern und merkte an, dass man von der Wanddeko noch etwas lernen kann: "Möglicherweise zwingt der neue Look den einen oder anderen Gast zu hinterfragen, was hier beim Checkpoint Charlie gewesen ist", so Maske, der als Franchisenehmer bei McDonalds neun Filialen betreibt. Ja, bei dem Potpourri aus Souvenirläden und Fressbuden kann man leicht übersehen, was hier früher los war. Gut, dass wenigstens McDonalds daran erinnert.
Eine kleine Gruppe aus dem Saarland stärkt sich vor dem Restaurant mit Burgern, um sich dann wieder auf die Suche nach der Mauer zu begeben. Die Jüngste der Gruppe ist 1996 geboren und fragt ihre älteren Begleiter bei jeder Mauer, die sie sieht: "Ist sie das jetzt?" Bettina Kirchen war 1982 schon einmal hier. "Als ich nach der Wende wiederkam, fragte ich mich: Ist das alles?" Sie findet es schade, dass es so wenige Überreste gibt. "Man hätte den alten Checkpoint vielleicht nicht abreißen sollen", ergänzt Stefan Oswald. Die Frage, ob McDonalds hier hergehört, ist für sie jedoch kein Thema. Sie finden das Restaurant einfach nur praktisch.
Die Leiterin des Mauermuseums, Alexandra Hildebrandt, freut sich ebenso über ihren neuen Nachbarn. "Alles, was zum angelsächsischen Raum gehört, das passt auch zu uns", sagt sie. Sie empfiehlt McDonalds sogar ihren Kunden. Hat sie einen Werbevertrag? "Nein, nein", beteuert sie. Sie gehe dort einfach gern essen. An der Filiale mag sie besonders, dass sie nach den Prinzipien des Feng Shui gestaltet sei. Da muss der McDonalds-Sprecher Nowicki dann aber doch abwinken: "Die Einrichtung hat nichts mit den Prinzipien des Feng Shui zu tun."
Draußen warten die Grenzer noch immer auf Touristen. In der Pause holen sie sich Kaffee - bei McDonalds, versteht sich. Sie stellen sich mit den Bechern aber nicht vors Kontrollhäuschen. "Wir dürfen keine Werbung machen", sagt einer der Darsteller. Ob die sowjetischen Soldaten auch Kaffee bei McDonals kaufen? "Ja, na klar." Aber die Sowjets seien eh nur selten hier. "Die Leute wollen die nicht auf dem Foto haben."
Bei McDonalds ist man nicht so nachtragend, Nowicki hat nichts dagegen, wenn Sowjet-Soldaten kommen. "Das Tolle an McDonalds ist, dass jeder hier sein kann, wie er ist." Gut so. Das war ja nicht immer der Fall am Checkpoint Charlie.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!