Matthias Glasners Film „Gnade“: Erlösung gibt es nicht
Im Film „Gnade“ verursacht ein Paar einen tödlichen Unfall und beschließt zu schweigen. Die Schuld verändert ihr Leben – stark und abgründig.
Matthias Glasner mag das Monströse. Geschichten über Schuld, die blauwalgroß ist und ohne jeden Zweifel. Vergewaltiger, denen wir bei der stumpf archaischen Tat zusehen. Gewaltverbrecher, die wir nicht lieben können („Der freie Wille“). Dennoch sollen wir ihnen mit dem Blick der Freundin durch das Martyrium ihrer scheiternden Triebbezwingung folgen. Wir sollen Pädophilie verstehen, denn immerhin sei auch diese Sehnsucht eine Form zutiefst empfundener Liebe und könnte sogar wie in „This Is Love“ erwidert werden.
Auch wenn Glasners Filme unter der Last ihrer Erzählung ächzen und knacksen, die Form nicht immer das Gewicht des Inhalts stemmen kann und das Pathos am Ende sein saftiges Zuviel aus Schmerz und Leid in christlichen Erlösungssymboliken aufheulen lässt, rühren sie dennoch unleugbar an den empfindlichsten Zentralnerven einer Gesellschaft. Den Totem- und Tabu-Regelungen, den christlichen Geboten, der Frage nach Gott, Gerechtigkeit und Gnade. Die Hartnäckigkeit, mit der der Regisseur seine Schuldgeschichten kolossal scheitern lässt, offenbart dabei auch eine heikle Lust an der Publikumsüberwältigung.
Nicht jedoch in seinem neuesten Film „Gnade“, der in seiner Schicksalhaftigkeit und menschlichen Fallhöhe vergleichsweise bescheiden daherkommt. Kein gewaltsamer Sex, keine missglückte Triebsublimierung, keine schreienden Frauen, die im fahlen Mondlicht sterbende Monster auf ihren Schoß nehmen. „Gnade“ hat es kleiner und immer noch tragisch und schuldbeladen und privatkatastrophisch für den Glasner’schen Kosmos genug.
Der Film erzählt von Niels (Jürgen Vogel) und Maria (Birgit Minichmayr), die nach ihrem Umzug zum Rande des Eismeers, ins norwegische Hammerfest, ihre vergletscherte Beziehung auftauen wollen. Niels arbeitet als Ingenieur in einer Erdgasverflüssigungsanlage und vögelt, allen guten Vorsätzen zum Trotz, mit seiner Kollegin Linda. Marie schuftet sich in Doppelschichten in einem Sterbehospiz kaputt. Und ihr Sohn Markus, der das Reden nicht nur pubertätsbedingt eingestellt hat, überwacht das elterliche Nebeneinander mit seiner Handykamera.
„Gnade“. Regie: Matthias Glasner. Mit Jürgen Vogel, Birgit Minichmayr u. a. Norwegen/Deutschland 2012, 132 Min.
Schuld verändert alles
Bis etwas passiert, das in der Beziehung alles und in der faktischen Existenz aber rein gar nichts ändert. Als eine völlig abgekämpfte Maria von der Arbeit durch die nicht enden wollende Polarnacht nach Hause fährt, kollidiert sie mit etwas, das man nicht erkennen kann. Maria bekommt es mit der Angst zu tun und fährt davon. Niels wird später die Straße absuchen, aber nichts finden. Doch es war da. Ein Mädchen aus der Nachbarschaft. Es schleppt sich noch von der Straße und stirbt langsam am Rand. Wie man später erfährt. Schlimmer geht es nicht.
Erlösung kann es dafür nicht geben. Nicht bei der Polizei, nicht vor Gericht, nicht vor den verwaisten Eltern. Das Paar beschließt zu schweigen und kommt sich perfiderweise in der Vertuschung wieder nah. In der Schuld finden ihre Körper und ihre Kommunikation wieder zueinander. Das ist so abgründig wie spannend durchtrieben und sollte sich nicht in weiteren Modellen der Schuldabsorbtion verzetteln. Tut es aber. Denn ab dem zweiten Drittel spielt „Gnade“ alles Mögliche durch.
Wie wäre es, wenn der an dem Tod zumindest äußerlich mehr nagende Niels die Mutter des Mädchens am Gedenkkreuz am Unfallort träfe. Wenn sie sich für sein Mitgefühl bedankte und er nur mit Mühe den Selbstekel hinunterschlucken kann. Wenn sich Maria irritierender Weise immer sicherer und behaglicher mit dem Geschehenen fühlte, sich eines Tages sogar so weit mit dem eigenen Abgrund versöhnte, dass sie sich traute, die Eltern des Mädchens aufzusuchen und ihre Unfallflucht zu gestehen. Und wie wäre es, wenn die Trauernden dann mit den Tätern allem Ungemach zum Trotz und im Wissen um die Belanglosigkeit eines richterlichen Schuldspruchs für ihr zerstörtes Leben am Ende ein nachbarschaftliches Grillen veranstalten?
Glasner sammelt eine Verstörung nach der anderen vom Wegesrand einer frei flanierenden Stoffentwicklung ein. Und zieht das Konstrukt immer wieder mit Bildern dieser unwirtlichen Eislandschaft auseinander, die zugegebenermaßen so berückend schön wie als Seelenlandschaft offensichtlich ist. Und wenn sich im März, die Sonne wieder zu erkennen gibt und die Farben der hübschen Holzhäuser nicht nur im künstlichen Licht zu erkennen sind, dann tritt nicht unbedingt eine umwerfende Wahrheit zutage.
Aber eine mit menschlicher Verzweiflung und Überlebensinstinkten zusammengelötete Gnade. Wie stark, anrührend, abgründig. Gäbe es nicht von allem zu viel. Von auf der Stelle tretenden Dialogen, von künstlichen optischen Verzögerungen, von Aus-, Einblicken und schwelgerischen Rundfahrten in weißen Abgründen.
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