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taz FUTURZWEI

Massentourismus in Florenz Marmor, Schweiß und Michelangelo

Eingezwängt zwischen touristische Massen in den Uffizien und der Altstadt von Florenz ist es fast unmöglich, die intellektuelle und ästhetische Kraft der Renaissance zu spüren.

Florenz zieht jährlich Millionen von Touristen an Foto: picture-alliance / dpa

Was für ein Glück. Die letzten zwei Wochen habe ich mitten in der Altstadt von Florenz gelebt, nah beim Dom, an der Piazza di San Pier Maggiore.

Die Zivilisationsgeschichte liefert den nachfolgenden Generationen keine Muster fürs eigene Verhalten, das weiß ich. Es gibt kein aufeinander aufbauendes Erfahren und Lernen aus der Geschichte. Aber es gibt Städte wie Florenz, gebaute Wegkreuzungen in der Zeit, historische Hochämter, die sich so stark ins Menschenwissen eingeprägt haben, dass niemand ihre Erzählung völlig ignorieren kann, wenn er das Hier und Jetzt bedenken will.

Als Kaiser und Papst sich im 13. Jahrhundert in einem Machtkampf gegenseitig blockierten, haben die Florentiner ihren Raum für ihre unabhängige Entwicklung gefunden. Sie befreiten sich aus den Adelsherrschaften rings um die Stadt und entdeckten im Rückgriff auf Griechen und Römer die Vorteile eines republikanischen Lebens mittels Selbstregierung wieder. Sie gaben sich eine der ersten lokalen Magistrats-Verfassungen mit repräsentativen Strukturen für ihre Zünfte, Gilden und mächtigen Familien. So wurden Handels- und Finanzimperien familienweise aufgebaut, die in ganz Europa Macht entfalteten und ungeheuren Reichtum anhäuften.

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Die Erfindung der Renaissance

Die Humanisten, die Maler, Bildhauer und Architekten – ausgehalten von diesen reichen Familien und toleriert von der katholischen Kirche – beendeten das scholastische Denken und den gotischen, auf den Glauben reduzierten Blick auf die Welt. Machiavelli, Mirandola, Giotto, Ghirlandaio, Donatello, Michelangelo, Da Vinci, Kopernikus und Galilei fanden hier Raum, um die Menschwelt unumkehrbar auf den Weg in die Moderne zu schieben. Für sie alle war der Mensch das Modell für die Welt. Der David vor dem Palazzo Vecchio erzählt keine religiöse Anekdote aus der Bibel, er ist die in Marmor gehauene Demonstration eines von jeder Unterdrückung freien Menschen.

Die reichen Familien der Stadt nutzten die Verfassung der Stadtrepublik, legal und illegal, allein für ihre Interessen. Zweimal wurden die Medici aus der Stadt vertrieben, jedes Mal wurden sie für die nächste Runde ihrer Machteroberung zurückgeholt. Es waren die Bürger von Florenz, die den ersten fundamentalistischen Versuch zur Errichtung eines Gottesstaates unter der Führung des Dominikanermönches Savonarola mit seiner Verbrennung auf dem Hauptplatz der Stadt beendeten.

Die „Ciompi“, die Beschäftigten in der im 14. Jahrhundert schon fast industriell arbeitenden Textilwirtschaft, organisierten den ersten revolutionären Arbeiteraufstand der aufkommenden Moderne. Er wurde brutal niedergeschlagen. Die Medici triumphierten über die freiheitliche Selbstverwaltung der Bürger ihrer Stadt. Sie nutzten die Macht der Kirche für sich, stellten Päpste, schlossen Allianzen mit den feudalen Herrschern in Italien und im europäischen Norden. So wurden sie schließlich zu absolutistisch herrschenden Großherzogen von Florenz und der Toskana.

Millionen von Touristen

Diese Geschichte der gescheiterten republikanischen Stadtverfassung, einer bürgerlichen Gesellschaft, die ihre Lust zur Selbstdarstellung ihrer Macht, ihres Reichtums, ihrer intellektuellen Kraft und ihres Kunstsinns im öffentlichen und privaten Leben der Stadt demonstrativ zur Geltung gebracht hatte, wird heute als banales touristisches Event inszeniert und vermarktet.

Die Touristen-Menschenmassen, leicht bekleidet, laut, von Hauswand zu Hauswand aneinandergedrängt, wälzen sich durch die Gassen und Straßen. Sie bilden endlose Schlangen vor den Museen, den Kirchen, sie essen immer und überall. Durch die Uffizien, vorbei an Ghirlandaio, Botticelli, Michelangelo und Donatello, ihren Bildern und Plastiken, drängeln sich jeden Tag zwölftausend Menschen.

Der Auftritt Davids im Original in der Accademia wird von je drei Sklaven flankiert, die im Marmor gefangen sind. Der kurze Weg, auf dem die Befreiung des Menschen zu sich selbst und seiner Kraft mit Michelangelos Skulpturen gefeiert wird, kann sich nicht selbst erklären. Denn hunderte Besucher, eng aneinader, Handys hoch über ihren Köpfen fürs Foto, stellen den Raum zu und zerstören jede Chance, Davids weiten Weg zu sich selbst zu begreifen. Der David muss alle vier Wochen mit der Hand gewaschen werden, damit sein Marmorkörper keinen Schaden vom Schweiß seiner Besucher nimmt.

taz FUTURZWEI N°26

Die Welt muss wieder schön werden

Wer Ernst machen will, muss verstehen, warum wir nicht gegen die Klimakrise handeln, obwohl wir alles wissen: Ohne Kulturwandel kein Weltretten.

Wir machen Ernst III, Schwerpunkt: Kultur

Mit Annahita Esmailzadeh, Arno Frank, Esra Küçük, Ricarda Lang, Wolf Lotter, Nils Minkmar, Luisa Neubauer, Robert Pfaller, Eva von Redecker, Claudia Roth, Ramin Seyed-Emami und Harald Welzer.

taz FUTURZWEI N°26 hier bestellen

Die Bürger von Florenz wehren sich

Den Massen auszuweichen ist unmöglich. Es ist schwierig, vor einem der Gemälde, den Plastiken oder den Fassaden der Paläste im babylonischen Sprachgewirr der Touristenführer und ihrer Kundschaft zum Nachdenken oder zur Freude zu finden.

Über das Jahr kommen nach Angaben der Stadtverwaltung insgesamt 4,5 Millionen Touristen nach Florenz. In der Altstadt leben 60.000 Leute. Jeden Tag drängen zusätzlich 45.000 Besucher hinein. In dieser Altstadt gibt es mehr Airbnb als ausschließlich eigenbewohnte Wohnungen. Die Mieten für den übrigbleibenden echten Wohnraum sind für die meisten unbezahlbar, das gilt auch für die 60.000 Studenten. Der Ausverkauf der Altstadt-Wohnungen an ausländische Investoren zu Mondpreisen schreitet voran.

Doch die Bürger von Florenz wehren sich. Gerade läuft eine Unterschriftensammlung für ein Referendum zur Beschränkung der Touristenzahlen mittels hoher Eintrittsgebühren, ein Airbnb-Verbot in der Altstadt und den Bau von Studentenwohnungen. Vor den Ständen bilden sich lange Schlangen zum Unterschreiben. Der Bürgermeister Dario Nardella von der Mitte-Links-Partei „Partido Democratico“ versucht, das Referendum zu blockieren.

Kunst vs. Eventkultur

Sollten sich hohe Hürden für den Besuch dieses Zentralortes der Renaissance durchsetzen, würden Viele aus der ganzen Welt nicht herkommen können. Florenz aber würde seine Würde, sein historisches Momentum gegenüber dieser Eventkultur behaupten, die jedes Denken und Begreifen unterdrückt. Florenz würde dann eine für alle Bürger und zugleich für Besucher großartige und lebbare Stadt bleiben.

Eines muss ich allerdings relativierend hinzufügen: Meiner grundsätzlichen Freude, meinen Glücksgefühlen, der Renaissance in ihren Werken überall in der Stadt zu begegnen, haben die viel zu vielen anderen Touristen seltsamerweise auch diesmal nichts anhaben können.

UDO KNAPP ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen für das Magazin taz FUTURZWEI.