Massenrauswurf beim Jahreszeiten-Verlag: Nur Häuptlinge, keine Indianer
Von der ungewöhnlichsten Massenentlassung der deutschen Medien-Geschichte sind bis zu 90 Mitarbeiter betroffen. Übrig bleiben nur leitende Angestellte.
Die Unternehmensberatung Schmidt Grund Partner verstehe es, "Strategien für die Medienbranche kompetent und effizient zu entwickeln". Findet Michael Segbers, der Geschäftsführer der Nachrichtenagentur dpa - das Zitat prangt auf der Website der Münchner Beratungsfirma.
Ob Segbers diese Einschätzung inzwischen wohl etwas anders formulieren würde? Denn die gepriesenen Strategieberater waren mittlerweile auch für den Jahreszeiten-Verlag (Merian, Für Sie, Petra, Feinschmecker, Prinz) im Einsatz - um die ungewöhnlichste Massenentlassung in der Mediengeschichte der Bundesrepublik vorzubereiten: In der vergangenen Woche kündigte der Jahreszeiten-Verlag (Jalag) an, dass künftig nur noch Führungskräfte die Zeitschriften des Hauses produzieren: Chefredakteure, Vizechefs, Art-Directoren, Textchefs, Ressortleiter und ihre Stellvertreter. Allen niederrangigen Redakteuren wird gekündigt. Es klingt wie der feuchte Traum marktradikaler Muftis: Im Zelt dürfen künftig nur noch die Häuptlinge arbeiten, die Indianer müssen sich in der Prärie durchschlagen.
Stefan Endter, Jurist beim Deutschen Journalisten-Verband (DJV), führt seit Tagen Dauergespräche mit den Betroffenen. Für ihn ist die Maßnahme ein "Quantensprung ins Negative". In gewisser Hinsicht ist das Konzept aber konsequent: Das Verhältnis vieler Verlagsmanager zu Unternehmensberatern ähnelt dem von gewöhnlichen Abergläubigen zu ihrem Guru. Dass man auf Auflagenrückgänge auch reagieren kann, indem man die Qualität der Zeitschriften verbessert, passt da eher nicht ins Weltbild.
Insider monieren, dass der Jalag, der zur Ganske Verlagsgruppe gehört, es versäumt hat, seine Objekte weiterzuentwickeln. Die Zeitschrift Country (72.000 Exemplare) konnte nicht einmal im Ansatz vom "Zurück aufs Land"-Boom profitieren, der einem Blatt wie Landlust 650.000er-Auflagen beschert.
"Schwarzbrot mit Marmelade" heißt ein Abschnitt in der vor ein paar Jahren publizierten Ganske-Hauschronik und beschreibt die entbehrungsreichen Gründerjahre unter Richard Ganske. Dessen Speiseplan spukt nun auch vielen Redakteure im Kopf herum. Wie viele von ihnen das Haus wirklich verlassen müssen, ist unklar. Offiziell will der Verlag 70 Vollzeitstellen einsparen. René Bickel, seit 40 Jahren Betriebsrat im Jalag, rechnet aber mit 80 bis 90 Betroffenen, denn ein großer Teil der Redakteure hat keine vollen Stellen. "Wir haben in den Redaktionen einen Frauenanteil von 70 Prozent. Wenn die Kolleginnen Kinder bekommen haben, streben sie nach der Elternzeit erst einmal Teilzeitarbeit an", sagt Bickel.
Die Nulllösung des Jalag passt dabei nicht so recht zum Image von Thomas Ganske, zu dessen Imperium auch ein Kunstbuchversand und ein Luxushotel im Werratal gehören. Der 62-jährige Verlagschef ist zwar als CDU-Sympathisant zu verorten, gibt sich aber gern liberal. Doch mit dem Flair, das Blätter wie Architektur & Wohnen in den Wartezimmern stilbewusster Zahnärzte verströmen, verträgt sich der Kahlschlag gar nicht.
Wie die Jalag-Zukunft aussehen könnte, hat sich gerade das Branchenblatt Horizont ausgemalt. Er lässt einen fiktiven Chefredakteur einen Brief "an die Mode-, Kosmetik-, Food- und Pharma-Branche" verfassen: "Ihre Zurückhaltung bei der Schaltung von Anzeigen hat unseren Verleger dazu gezwungen, alle Journalisten unseres Hauses zu entlassen. Deshalb müssen wir Sie bitten, Ihre Pressetexte in Zukunft so zu verfassen, dass wir sie abdrucken können, ohne dass ein Redakteur sie umschreiben muss."
Das Motto der Beratungsgesellschaft Schmidt Grund Partner lautet übrigens "Weniger ist häufig Mehr".
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