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Massenfestnahmen nach Protesten in Südkorea

■ Straßenschlachten in Südkoreas Hauptstadt Seoul / Proteste gehen auch nach der Festnahme von knapp 4.000 Menschen weiter / 120.000 Polizisten im Einsatz

Seoul (afp/wps) - Schwere Straßenschlachten bestimmten auch am Donnerstag das Straßenbild der südkoreanischen Hauptstadt Seoul. Etwa 1.000 Jugendliche und Studenten lieferten sich mit Eisenstangen und Molotow– Cocktails Auseinandersetzungen mit der Polizei und wurden von Tränengas eingenebelt. Auch in mindestens 21 weiteren Städten sollen Auseinandersetzungen stattgefunden haben. Begonnen hatten die Auseinandersetzungen am Tag zuvor, an dem die regierende „Demokratische Gerechtigkeitspartei“ DJP erwartungsgemäß den früheren General Roh Tae Woo zum Präsi dentschaftskandidaten gekürt hatte. Roh Tae Woo ist ein Schulfreund und enger Vertrauter des amtierenden Präsidenten Chun Doo Wan, der im Februar nächsten Jahres abtreten will. Während die Opposition die Direktwahl des Präsidenten fordert, hatte Chun Doo Wan im April verkündet, eine Verfassungsänderung werde erst 1988, nach der Olympiade in Seoul, möglich sein. Der Präsident wird nun - wie bisher - von einem Wahlmännergremium designiert. Mit der Forderung nach Demokratisierung, Abschaffung der Militärdiktatur und dem Protest gegen den Foltertod eines Studenten im Januar waren am Mittwoch in ganz Südkorea Zehntausende auf die Straße gegangen. 2.600 Personen waren bereits am Tag zuvor inhaftiert worden, um die Protestkundgebungen im Vorfeld zu verhindern. Die Demonstranten verbrannten amerikanische Flaggen und forderten in Sprechchören den Rücktritt der Regierung. Im Verlauf heftiger Straßenkämpfe am Mittwoch wurden Barrikaden gebaut, Steine geworfen, ein Luxushotel besetzt und nach Polizeiangaben 14 Polizeireviere zerstört sowie sechs Polizeiwagen abgefackelt. Den Demonstranten standen 120.000 Polizisten der Anti–Aufruhr–Einheit gegenüber, 60.000 davon allein in Seoul. Die Bilanz war bitter: Am Donnerstag teilte Polizeichef Kwon Bok Kyung mit, am Vortag seien 3.831 Personen festgenommen worden. 250 von ihnen sollen unter Anklage gestellt, die übrigen freigelassen werden. Ein Student, der am Mittwoch von einer Tränengasgranate gefährlich verletzt worden war, kämpfte am Donnerstag immer noch mit dem Tod. Staatspräsident Chun hatte zuvor erklärt, die Proteste würden entschieden bekämpft werden, „egal um welchen Preis“. Nach Polizeiangaben sollen 700 Polizisten und 12 Demonstranten verletzt worden sein. Ein hoher Polizeibeamter bezeichnete die Kundgebung in Seoul als die größte der letzten sieben Jahre. Rundfunk und Fernsehen Südkoreas sprachen von weit mehr als 60.000 Demonstranten. Nach Beendigung eines bis in die frühen Morgenstunden des Donnerstag andauernden Sitzstreiks erklärte die „Wiedervereinigungspartei“, die größte südkoreanische Oppositionspartei, sie wolle nun den passiven Kampf gegen die Regierung beenden und zu einer härteren und entschlosseneren Art des Kampfes übergehen. Der seit über zwei Monaten unter Hausarrest stehende Oppositionsführer Kim Dae–Jung protestierte am Donnerstag gegen das Vorgehen der Regierung gegen die Demonstranten. Die Polizei greife wahllos friedliche Demonstranten an, so Kim.

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