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Archiv-Artikel

Martin Reichert über LANDMÄNNER Auf Gummireifen zum Gottesacker

Eine agnostische Beerdigung in Brandenburg ist gar nicht so schlecht: Jeder für sich und Gott für uns alle

Schon seltsam, wenn bei einer Beerdigung die Kirchentüren verschlossen bleiben und die Trauerfeierlichkeiten stattdessen in einer Art Carport vollzogen werden: der Leichenhalle des brandenburgischen Dorffriedhofs. Schon seltsam, wenn statt des Pfarrers ein Herr mit Gummisohlen und hoher, salbungsvoller Stimme die selbstgebastelte Predigt verliest und dafür rund 150 Euro Honorar in Rechnung stellt.

Die Menschen machen offensichtlich das Beste aus ihrer metaphysischen Obdachlosigkeit: Man behilft sich mit einem Ritual-Potpourri, flicht einen trostspendenden Tuberosen-Strauß aus Popmusik und Hollywood-Versatzstücken. Ein aus der Melodie des La-Boum-Klassikers „Reality“ von Richard Sanderson bestehender synthetischer Klangteppich, live von der Klarinette begleitet, fängt die Trauernden auf: „Dreams are my reality, the only kind of real fantasy.“ Bei eisiger Kälte gefrieren fast die Tränen, während der Milchlaster die Dorfstraße entlangscheppert. Mein Freund und ich vermeiden jeden Blickwechsel, weil alles so traurig und gleichzeitig absurd ist, man aber ganz bestimmt niemandes Gefühle verletzen möchte, indem man hysterisch lacht.

Jede Träne, die du weinst, weinst du um dich selbst? Man denkt an die Telefonrechnung, an die Handelsstrategie von General Motors, über die man irgendwann einmal etwas gelesen hat. Und früher oder später an die eigene Beerdigung. Wer wird kommen? Wer einen Kranz abwerfen? Sollte man einen Kollegen frühzeitig bitten, eine tragisch-komische Trauerrede zu schreiben? Und vor allem: Sollte man nicht auf jeden Fall zahlendes Mitglied der Kirche bleiben, alleine schon als Versicherungsschutz für eine anständig durchchoreografierte Beerdigung?

Die Trauergäste werden aufgefordert, ein Spalier zu bilden, der schwere Eichenholzsarg wird auf einem gummibereiften Wägelchen in Richtung Gottesacker gefahren, vorbei am verschlossenen Kirchenportal, dazu singt vom Band Frank Sinatra: „My way“.

Man blickt über weite Felder hinweg auf ehemalige LPG-Bauten und es scheint in diesem Moment, als hätte die SED den Kirchenkampf auf lange Sicht doch gewonnen. Bis auf die angereiste West-Verwandschaft mit Pelz und Turmfrisuren scheinen nur Atheisten anwesend zu sein. Wenn da nicht diese Atavismen wären: Der Sarg wird mit einem kleinen Zapfenstreich ins Erdreich befördert, und während die Pferde von der benachbarten Koppel neugierig herüberschauen, falten die Trauergäste ihre Hände. Und zwar nicht, weil sie nicht wissen, wohin mit ihnen. Am Grab schließlich wirft jeder drei Schaufeln Erde und Blumen in die Tiefe, ein trotz allem zutiefst christliches Ritual.

Es ist keine atheistische, sondern eine agnostische Beerdigung. Man weiß nicht so genau, ob es nicht doch ein höheres Wesen gibt oder gar einen Himmel. Vielleicht ist dieser Himmel sogar so wie diese Beerdigung. Alles Kraut und Rüben: Jungfrauen und Mundschenke, Erzengel und ein lieber Gott – vielleicht haben dort sogar Schwule einen Platz, auch wenn dies auf Erden anders propagiert wird und man sich dementsprechend genötigt sieht, auf der eigenen Beerdigung „Sympathy for the Devil“ laufen zu lassen.

Eigentlich eine symphatische Veranstaltung, so eine agnostische Patchwork-Beerdigung. Man hat theoretisch alles selbst in der Hand, und es ist auch nicht so schlimm, wenn man schwul ist oder aus Versehen einen knallroten Schal trägt. So wie mein Freund. Er und ich haben beschlossen, nicht nur für alle Fälle eine Patientenverfügung zu hinterlegen, sondern auch eine Beerdigungs-Choreografie. Ich bin zum Beispiel scharf auf die Eichenholztruhe, die im Wohnzimmer steht. Sieht exakt genauso aus wie der seit Jahrhunderten standardisierte Papstsarg. Eine ganz einfache Kiste ohne Schnickschnack. Fesch. Mein Freund hätte gerne ein Leichengewand aus Leinen und einen unbehandelten Bio-Fichtenholz-Sarg. Wenn ich zuerst stürbe, müsste er singen, ich umgekehrt die Trauerrede halten.

Einem gemeinsamen Freund ist nun unlängst der Nachbar weggestorben. Er hat sich wahrscheinlich um Weihnachten herum das Leben genommen und irgendwann roch es sehr streng im ganzen Haus. Der Mann hatte niemanden, der seinen Tod bemerkt hätte, ein sogenannter „Wendeverlierer“ mit Alkoholproblem. Wir wollen nun alle zur Sozialamt-Beerdigung, mit Kassettenrekorder unter dem Arm. „Bataillon d’Amour“ von Silly laufen lassen.

Fragen zur Kiste? kolumne@taz.de Morgen: Robin Alexander über SCHICKSAL