„Marsch für das Leben“ am 19. September: Dem Antifeminismus die Show stehlen

Das What-the-fuck-Bündnis fordert: Abtreibung legalisieren, Care-Arbeit umverteilen, Femizide stoppen.

#nofundis Bild: Miguel Bruna/Unsplash

Ein Gastbeitrag des Bündnisses WHAT THE FUCK

Am Samstag, den 19. September 2020, findet in Berlin wieder der „Marsch für das Leben“ statt. Trotz Corona-Ansteckungsrisiko wollen die selbsternannten „Lebensschützer“ mit bis zu 5.000 Menschen gegen Abtreibung und körperliche Selbstbestimmung durch Berlin laufen. Das What-the-fuck-Bündnis mobilisiert wie jedes Jahr zu Gegenprotesten. Um das Ansteckungsrisiko so klein wie möglich zu halten und es auch Menschen mit erhöhter Gefährdung zu ermöglichen, Teil des Protests zu sein, ruft das queerfeministische und antifaschistische Bündnis in diesem Jahr zu einer Pro-Choice-Rallye quer durch Berlin-Mitte auf.

Die Rallye verbindet sechs Kundgebungen miteinander. Jede Kundgebung hat ein eigenes Thema, darunter queere Perspektiven im Gesundheitssystem, reproduktive Rechte, Sexarbeit und Antirepression. „Wir als What-the-fuck-Bündnis haben uns ganz bewusst für eine kontaktarme Protestform entschieden. Die Mobilisierung der sogenannten Lebensschützer:innen zu einer Demonstration und begleitenden Veranstaltungen wie einem Gottesdienst zeigt, dass es ihnen um alles andere als den Schutz von Leben geht. Sie riskieren, dass Menschen sich mit Corona anstecken, wenn sie dazu aufrufen, massenhaft aus ganz Deutschland nach Berlin anzureisen. Aus dem Umfeld der christlichen Fundamentalist*innen kommen darüber hinaus Personen, die gegen Corona-Maßnahmen wettern und Verschwörungsmythen verbreiten“, so Lili Kramer, Pressesprecherin des What-the-fuck-Bündnisses.

Der „Marsch für das Leben“ propagiert ein christlich-fundamentalistisches Weltbild. Entgegen des vorgeblichen Ziels ist für die selbsternannten „Lebensschützer“ nicht jedes Leben gleich schützenswert. Bedacht wird stets nur das „ungeborene Leben“, nicht die Lebensgefahr, in die schwangere Personen durch Abtreibungsverbote gebracht werden oder andere gefährdete Leben, etwa an den EU-Außengrenzen. Darüber hinaus vertreten sie reaktionäre Geschlechterrollen und äußern sich homo- und transfeindlich. Mit ihren Vorstellungen sind sie nicht allein, in der gesamten Gesellschaft ist das Erstarken nationalistischer, konservativer und antifeministischer Positionen spürbar.

Der Antifeminismus verbindet reaktionäre Strömungen, von der CDU/CSU, über die AfD bis zu Personen der extremen Rechten. Es kommt vermehrt zu Hetze gegen Frauen, queere Menschen/LGBTIQ*, Rassismus wird immer unverhohlener geäußert. Rechte Akteur:innen, wie Beatrix von Storch von der AfD, sind jedes Jahr auf dem Marsch in Berlin vertreten.

Eine Pandemie namens Patriarchat

Gerade während der Corona-Pandemie hat sich noch einmal gezeigt, dass queer-feministische und antifaschistische Kämpfe wichtig und notwendig sind. So wurden die prekären Arbeitsverhältnisse im Gesundheitssystem, in dem maßgeblich weiblich sozialisierte Personen arbeiten, offensichtlich. Krankenhäuser und niedergelassene Ärzt:innen waren und sind überlastet, viele Praxen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, mussten wegen Verdachtsfällen oder unzureichender Schutzausrüstung schließen. Auch viele Beratungsstellen waren nicht für den Publikumsverkehr geöffnet – das Gesetz sieht aber eine face-to-face Beratung vor.

Gleichzeitig wurden erste Stimmen von rechts laut, Schwangerschaftsabbrüche seien kein notwendiger Eingriff und sollten während der Pandemie ausgesetzt werden. Eine Abtreibung ist aber kein zeitlich variabler, sondern ein unaufschiebbarer Eingriff. Für die Straffreiheit der Betroffenen gilt nach wie vor die 12-Wochen-Frist.

Das queer-feministische und antifaschistische Bündnis setzt sich seit Jahren für das Recht auf Abtreibung und einen leichten Zugang zu Informationen und damit für die Streichung der Paragrafen 218 und 219 aus dem Strafgesetzbuch ein. Denn nur wenn es einen legalen Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen gibt, werden Schwangere vor den tödlichen Folgen unsicherer Abtreibungen geschützt. In Ländern, in denen es keinen sicheren Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen gibt, ist die Zahl an unsicherer Abtreibungen mit Todesfolge besonders hoch. Verbote verhindern Abtreibungen nicht, sie führen lediglich dazu, dass Menschen an unprofessionell und heimlich durchgeführten Abbrüchen sterben.

Für echte reproduktive Selbstbestimmung braucht es aber mehr als die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen: zum Beispiel eine reguläre Kassenübernahme des Eingriffs, inklusivere Sexualaufklärung und mehr Wissen um Behindertenfeindlichkeit und Pränataldiagnostik. Zu diesen und anderen Themen rund um körperliche Selbstbestimmung, christlich-fundamentalistischen Lobbyismus und Verbindungen in die extreme Rechte recherchiert und kämpft das Berliner Bündnis schon seit vielen Jahren.

Kriminalisierung feministischer Kämpfe

Doch wie so oft findet eine Kriminalisierung feministischer und antifaschistischer Kämpfe statt. Im letzten Jahr war dies für die Aktivist:innen besonders spürbar: Circa 100 Personen, die sich an einer friedlichen Sitzblockade gegen den „Marsch für das Leben“ beteiligten, wurden in einem Kessel von der Polizei festgehalten und nach einigen Stunden in die Gefangenensammelstelle gebracht, wo ihre Identität festgestellt wurde. Bis jetzt haben mehr als 50 Personen Anzeigen wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Nötigung, Vermummung und Verstoß gegen das Versammlungsgesetz erhalten.

Der Fall zeigt auch die Konsequenzen der Verschärfungen von Straf- und Polizeigesetzen der letzten Jahre. Die kleinste Regung und Reflexe werden als Widerstand oder Gewalt gegen Vollstreckungsbeamte gewertet. Die erhöhten Strafmaße sollen gerade junge Menschen vom Protest abschrecken. Das What-the-Fuck Bündnis hat eine Antirepressionskampagne gestartet, um die betroffenen Aktivist:innen zu unterstützen.

Es gibt ein Konto bei der Roten Hilfe, auf das unter dem Verwendungszweck „Pro Choice“ gespendet werden sowie Merch wie T-Shirts und Mund-Nasen-Schutz. Alle Einnahmen kommen den betroffenen Aktivist:innen zu. Darüber hinaus lässt sich das Bündnis nicht einschüchtern und hat in diesem Jahr mit einer Pro-Choice-Rallye quer durch Berlin-Mitte mit vielen Aktionen, Musik und live-Konzerten wieder einiges auf die Beine gestellt, um den Antifeminist:innen die Show zu stellen (Samstag, 19. September, 12 Uhr, Berlin-Mitte).

Ein Gastbeitrag der Intiative What the fuck? Die Redaktion der taz macht sich die Aussagen von Gastautor:innen nicht notwendigerweise zu eigen. 

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