■ Marokkos neuer König Mohammed VI. auf alten Pfaden: Demokratisierung ohne Volk
Mohammed VI. will den Demokratisierungsprozess da weiterführen, wo sein verstorbener Vater Hassan II. aufhörte – eine Nachricht, die im Westen wohlwollend zur Kenntnis genommen wird. Dabei stand die Entscheidung niemals zur Disposition: Schon mit der Verfassung von 1996 hatte Hassan II. die Demokratisierung des Landes eingeleitet, mit Sozialistenführer Abderrahmane Youssoufi kam gar erstmals ein Mann der aus den Reihen der Opposition an die Regierung – mit des Königs engstem Vertrauten, Innenminister Driss Basri, an der Seite, um allzu gewagte Vorstöße gleich im Keim zu ersticken. Heute, eineinhalb Jahre nach Youssoufis Wahl, sieht die Bilanz dementsprechend spärlich aus. Die viel gepriesene Demokratisierung Marokkos ist also bisher wenig mehr als eine Imageaufbesserung.
Mohammed VI. wird zumindest nachgesagt, dass er mehr will. Er gilt als Bewunderer der Transición, des spanischen Übergangs von der Franco-Diktatur zur Demokratie. Doch es war nicht nur das politische Geschick von König Juan Carlos, das das spanische Experiment gelingen ließ, sondern die soziale Basis des Landes, die für einen Übergang eintrat: eine Mittelklasse und eine Bourgeoisie, die das enge Korsett der Diktatur leid waren, und eine Arbeiterklasse, die bereits seit Jahren trotz Repression für mehr Freiheiten auf die Straße gegangen war.
All das fehlt in Marokko: Die gebildete Mittelschicht ist verschwindend klein. Die Unternehmer sind eng mit dem Korruptionsfilz rund um den Palast verwoben und gehören somit zu den entschiedensten Gegnern einer Verwaltungs- und Justizreform. Und der Linken und der Arbeiterbewegung hat König Hassan II. in den schwarzen Jahren Marokkos gründlich das Rückgrat gebrochen. Ohne Wechselspiel verschiedener sozialer Schichten und Strömungen – wie einst in Spanien – ist eine ausgewogene Demokratisierung jedoch nur schwer denkbar. Eine breite Öffnung tut deshalb Not. In allererster Linie bräuchte das Land endlich eine freie Presse.
Wenn Mohammed VI. wirklich eine Demokratisierung will, dann muß er selbst Hand an einen der grundlegenden Mythen des Landes legen: den des Königs als fast göttliches Wesen. Ein moderner Staat braucht keinen Übervater, sondern einen Staatschef, der repräsentiert, während die Regierung die Geschicke des Landes bestimmt. Von solch grundlegenden Änderungen trauen sich die meisten Marokkaner nach 38 Jahren autoritärem Regime nicht einmal zu träumen. Reiner Wandler
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