Markus Völker Gangneung Style: Fern von den deutschen Härten im großen Dienstleistungsparadies
Vor zwei Tagen sah ich so mitgenommen aus, als ob ich in eine heftige Auseinandersetzung mit Matthias Große, Pechis Bodyguard, geraten wäre. Aber ich saß einfach nur im Bus, und mein rechtes Auge schwoll immer mehr an. Es wollte mir wohl sagen, dass ich angeknockt bin. Danke, das hätte ich auch selber mitbekommen, denn wir sehen hier nach über zwei Wochen Schreibolympiade alle nicht mehr so richtig frisch aus – und viele riechen auch nicht mehr so. Im Frühstückssaal sieht man jetzt etliche Gestalten, die nur noch apathisch vor sich hin stieren und das Toastbrot mechanisch in sich hineinschieben.
Aber weil ich natürlich weiterhin Texte nach Berlin telegrafieren wollte, machte ich mich auf zum Medical Point, gleich gegenüber von Hochhaus 501, wo ich im zwanzigsten Stock ein Zimmer bewohne. Die Diagnose der Ärzte war recht schnell gestellt, nichts Schlimmes, eine olympische Verschleißerscheinung nur, aber wie man sich um mich kümmerte, hatte etwas Anrührendes. Vier, fünf Leute schwirrten um mich herum, telefonierten, verglichen ihre Diagnosen auf Google, begleiteten mich auf dem Weg zum Taxi, statteten mich mit allem aus, was ich brauche, um nicht verloren zu gehen im Provinznest Gangneung. So muss es wohl aussehen, das Dienstleistungsparadies, das perfekte Journalisten-Sitting.
Ja, ich komme aus Deutschland, aus Berlin, sagte ich den fleißigen Helfern. Das fanden sie richtig gut. Deutschland mögen sie anscheinend besonders gern. Ein Volunteer aus Seoul sagte, er wolle nach seinem Abschluss in Biochemie jetzt Deutsch studieren, um dann später einmal nach Deutschland zu gehen. Das sei ein wirklich guter Ort für die Biochemie, sagte er. Und um zu verdeutlichen, wie ernst er es meinte mit seinem Karriereplan, frage er mich auf Deutsch: „Wie heißt du?“ Eine Kollegin von ihm, die Deutsch sogar bereits in der Schule in Seoul gepaukt hat, sagte, sie wolle sich um ein Stipendium für einen Deutschland-Aufenthalt bewerben. Korea und Deutschland seien irgendwie ähnlich, meinte sie, „gleiche Mentalität und Einstellung“. Weil ich sie auf keinen Fall enttäuschen wollte, sagte ich nur: „Kann schon sein.“ Junge Menschen sollte man nicht desillusionieren.
Korea, finde ich, hat nicht wirklich viel mit Deutschland gemein. Es gibt etliche Unterschiede, die eigentlich offenkundig sind. Deutschland ist kein homogenes Land wie Korea, es ist im Gegensatz zum Olympiaausrichter wild, rau, dreckig, vielgestaltig, schofelig und frei heraus. Eine Pause von den deutschen Härten ist gar nicht so schlecht. Ehrlich gesagt, genieße ich diese Freundlichkeit, das Zuvorkommende und Wohlgeordnete hier. Aber irgendwann will man doch wieder zurück in den wohligen Berliner Siff. Is’ so.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen