Marietta Slomka in China: Das Private ist politisch
So viel Einfühlungsvermögen hätte man ihr nicht zugetraut: Die "heute-journal"-Moderatorin stellt ihre China-Reportagen nicht auf das Fremde ab, sondern auf das Gemeinsame.
Journalisten sind wie streunende Hunde. Man kann ihnen die kalte Schulter zeigen, und sie kommen doch immer wieder. Wenn sie dann am nächsten Tag schon wieder vor der Tür stehen, ahnt man, dass es ein Fehler war, sie so energisch fortgescheucht zu haben. Man hat ihre Neugier geweckt. Da hilft dann nur noch eine Polizeieskorte bis zur Stadtgrenze, um sicher zu sein, dass sie auch nicht zurückkommen.
Marietta Slomka war in China unterwegs, vor allem in und um Peking, und plötzlich war das Auto der "heute-journal"-Moderatorin von schwarzen Limousinen deutscher Bauart umzingelt: die Staatssicherheit! Drei Stunden lang wurden Slomka und ihr Kamerateam festgehalten - nur weil sie einem alten Mann zugehört hatten, der über Nacht enteignet worden war und bis heute auf eine Entschädigung wartet.
Getroffen hatte Slomka ihn und viele Leidensgenossen am Zentralen Petitionsbüro in der chinesischen Hauptstadt, der letzten Hoffnung für Opfer von Korruption und Willkür. Auch hier waren die Journalisten schon nicht gerne gesehen, der spontane Ausflug in den 100 Kilometer von Peking entfernt gelegenen Heimatort des alten Mannes geschah jedoch mit dem Segen der Staatssicherheit. Eine seltsame Szene: Der alte Mann tritt ein paar Schritte zur Seite, tuschelt kurz mit einem Sonnenbrillenmann; der nickt - und schon kanns losgehen.
Trotz solcher hierzulande undenkbaren Schikanen und der offenbar unvermeidlichen Bilder von exotischen Lebensmitteln bleibt von Slomkas fünf Beiträgen, die von heute bis Freitag im "heute-journal" ausgestrahlt werden, nicht das Fremde, Trennende haften, sondern die Schnittmengen: etwa wenn Slomka sich mit einer jungen Künstlerin über deren Generation unterhält, die diese als unpolitisch, konsumorientiert und auf ihr kleines, privates Glück bedacht charakterisiert: "Unsere Kämpfe sind vor allem psychologischer Natur."
In Begegnungen wie dieser beweist Slomka ein Einfühlungsvermögen, das man ihr, der im "heute-journal"-Studio oft unnahbar Wirkenden, nicht zugetraut hätte. Sie, wegen ihrer eisblauen Augen von Kollegen "Husky" getauft, ist längst nicht so kühl wie ihr Image. Nur der spöttische Tonfall des Off-Kommentars erinnert an die "heute-journal"-Slomka.
Dass Slomka ausgerechnet jetzt China bereist, liegt natürlich an den bevorstehenden Olympischen Spielen, die alle ganz toll finden - wenn sie überhaupt bereit sind, über Politik zu reden. "Jetzt, vor den Olympischen Spielen, scheint ganz China einen Maulkorb zu tragen", sagt Slomka leicht genervt. Explizit politisch wird dann auch nur ihr Gespräch mit Professor Fu, der 20 Jahre in Deutschland gelebt hat und das "heute-journal" im Internet guckt. "Mein Herz schlägt für beide Seiten", sagt er und plädiert im Gespräch mit der sehr kämpferischen Slomka (die Menschenrechtsverletzungen!, die Behördenwillkür!) für mehr Geduld mit China.
Als größter Wermutstropfen ihrer Reportagen bleibt, dass Slomka gar nicht gemerkt zu haben scheint, was ihr eigentliches Verdienst ist: Sie zeigt, dass in China alles politisch ist - auch das Private, vermeintlich Unpolitische. Das Rumstreunen hat sich gelohnt.
Montag bis Freitag, ZDF 21.45 Uhr
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