Marathon-Frau Paula Radcliffe: Schluchzend ins Ziel
Paula Radcliffe wollte so gerne ihre erste olympische Medaille gewinnen. Doch die britische Jogging-Millionärin kämpfte gegen Pekings Hitze und ihren Körper - und wurde nur 23.
PEKING taz Sie stakste in ihrem unnachahmlichen Stil los. Wild entschlossen, Olympiasiegerin zu werden. Paula Radcliffe ist eine außergewöhnliche Läuferin. Sie, die sauberen Sport propagiert, erkennt man schon aus einem Kilometer Entfernung. Sie ist meist die Größte im Feld der Marathonläuferinnen. Die Knie zieht sie ungewöhnlich hoch. Der Kopf, leicht schief, nickt mit jedem Schritt wie ein Metronom. Nach den ersten 100 Metern sieht sie schon leidend aus. Meist täuscht das. Mit Leidensmiene hat sie den Weltrekord über 42,195 Kilometer, die klassische Distanz, aufgestellt, 2:15:25 Stunden. Sie hat in London, Boston, New York und Chicago gewonnen. Was der Britin noch fehlt, das ist eine olympische Medaille. Damit sollte es am Sonntag wieder nichts werden. Das Drama der verpassten Chancen setzte sich in Peking fort.
Vorn stapfte die Rumänin und spätere Olympiasiegerin Constantina Tomescu auf und davon, dahinter hatte sich eine Gruppe gebildet. Zweimal fiel Paula Radcliffe aus ihr heraus. Nach etwa 15 Kilometern scherte die 34-Jährige aus, hockte sich neben den Rinnstein und erledigte offensichtlich ein menschliches Bedürfnis. Hatte sie vorm Rennen etwa zu viel getrunken, um für die besonderen Pekinger Verhältnisse gerüstet zu sein? Sie konnte wieder aufschließen. Das gelang ihr beim zweiten Mal, einige Kilometer später, nicht mehr.
Sie blieb mit muskulären Problemen stehen, humpelte an die Absperrung und dehnte einen Fuß. Dann rannte sie wieder los, weit abgeschlagen. In diesem Moment wars vorbei. Früher hätte sie in so einer Lage aufgegeben, jetzt lief die Favoritin durch, trotz quälender Schmerzen. Radcliffe ist fast sechs Minuten hinter der Siegerin, die nach 2:26:44 Stunden durch das Zielband glitt, im Stadion angekommen. Ihre Zeit: 2:32:38. Auf Platz 23 war sie gelandet. Das Publikum begrüßte sie dennoch mit einer Standing Ovation. Schluchzend stolperte die Britin in die Katakomben.
Vor vier Jahren schien Radcliffe ein Abonnement auf den Olympiasieg zu haben. Doch das Wetter war schlecht für Radcliffe. 35 Grad Celsius heiß, 31 Prozent Luftfeuchtigkeit. Ein paar Kilometer vorm Ziel war Radcliffe fix und fertig, sie konnte nicht mehr. Hockte wie ein Häufchen Elend am Straßenrand und heulte, heulte, heulte. Ihr wurde damals vorgeworfen, nicht gekämpft, nicht durchgehalten zu haben. Dessen entsann sich die Britin wohl am Sonntag in Peking und biss die Zähne zusammen. Dennoch: Die Läuferin aus Northwich hat eine fürchterliche olympische Bilanz vorzuweisen - Platz 5 im Jahre 1996 über 5.000 Meter, Rang 4 über die doppelte Distanz bei den Sommerspielen in Sydney, Aus über 10.000 Meter in Athen. Das ist ein Witz für die Jogging-Millionärin.
Prangen die fünf olympischen Ringe auf ihrem Trikot, scheinen Radcliffes Auftritte Murphys Gesetz zu folgen: Alles, was schiefgehen kann, geht auch schief. Dabei war sie nach einer Babypause im November 2007 schon wieder in bestechender Form, gewann in New York, stemmte den Nachwuchs im Ziel im Central Park in die Höhe und lieferte ein hübsches Motiv für Fotografen. Es folgten allerdings schlechte Nachrichten. Im April wurde sie von einer Zehenverletzung in ihrem Trainingseifer gestoppt, im Mai zog sie sich einen Ermüdungsbruch im Oberschenkel zu. Im Vorfeld der Spiele wurde sie auch noch von einer Spinne gebissen und fieberte daraufhin ein wenig. Auf viele Trainingskilometer musste sie verzichten, mit lockerem Geländetraining versuchte sie sich in Form zu bringen. Vergeblich.
"Ich habe das Unmögliche versucht", sagte sie. "Aber ich hatte einfach zu viel Trainingsrückstand. Mit halben Sachen kann man im Marathon nichts reißen." Während des Laufs habe sie immer mehr Probleme mit dem noch vor kurzem verletzten Bein bekommen, sagte sie. "Einmal hatte ich sogar das Gefühl, mir tritt jemand auf das Bein, aber als ich mich umgedreht habe, war da gar niemand." Blickte sie voraus, dann konnte sie knapp einen Kilometer vor sich die Rumänin Tomescu, Halbmarathon-Weltmeisterin 2005, sehen, dahinter die zweitplazierte Kenianerin Catherine Ndereba (36) und die Bronzeläuferin Zhou Chunxiu, 29, die als erste Chinesin einen der großen Städtemarathons gewinnen konnte - 2007 in London.
Radcliffe will es in vier Jahren noch einmal versuchen. "Das ist nicht das Ende", sagte sie, "hoffen wir das Beste. Wie alt ist doch gleich Constantina?", fragte sie in die Runde. 38 Jahre. Radcliffe wäre zu den Sommerspielen im eigenen Land genauso alt. Wenn das kein gutes Omen ist. Außerdem würde das Wetter endlich passen: Paula Radcliffe müsste vorm Rennen nicht mehr mit einer Kühlweste herumsausen, um ihre Körperkerntemperatur abzusenken. Und trinken wie ein Brauereipferd müsste sie auch nicht mehr. Das sollte sie vor allerlei peinlichen Situationen bewahren.
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