Maradona ohne Plan für Messi: Die Wahrheit auf Tapeverband
Argentinien bangt um die WM-Teilnahme, weil Nationaltrainer Maradona zu sehr auf Inspiration vertraut. Seinem Star Messi fehlen im Angriff die bei Barcelona gewohnten Automatismen.
BARCELONA taz | Mit Tapeverband stützte Diego Maradona seine Botschaft. Er kritzelte sie auf ein Papier und heftete das Blatt, weil nichts anderes da war, mit Klebebandage an die Tür der Umkleidekabine. "Inmitten all der Probleme dieses Landes", stand dort, "seid ihr die Freude." Es war März dieses Jahres, die argentinische Nationalelf las, ging und besiegte Venezuela in der WM-Qualifikationsrunde 4:0. Mittlerweile ist die Elf von Trainer Maradona nur ein weiteres argentinisches Problem.
Eine Elf, die zu den ersten Anwärtern auf den Weltmeisterschaftssieg zählen sollte, hat gute Chancen, sich nicht für die WM 2010 in Südafrika zu qualifizieren. Nach Blamagen in Serie bleibt Argentinien ein verzweifelter Versuch in den abschließenden zwei Partien der Südamerika-Gruppe am Samstag gegen Peru und nächsten Mittwoch in Uruguay, um als Vierter den letzten sicheren WM-Startplatz zu ergattern oder sich als Fünfter in ein Relegationsspiel zu retten. Das globale Publikum fragt sich, wie eine Elf um den besten Fußballer der Welt, Leo Messi, so erfolglos spielen kann. Nur in Barcelona, wo Messi bei Barça auch in der neuen Saison die Sinne verzückt, finden sie das logisch.
Es war noch März, Argentinien ergötzte sich an Maradonas Botschaften, als in Barcelona ein 62-Jähriger in Tennishosen bereits das Grundsatzproblem entdeckte: "Bei Barça hat Messi den Ball 100-mal im Spiel, bei Argentinien 20-mal. Bei Barça bekommt Messi den Ball 60-mal so, dass er schon im klaren Vorteil gegenüber seinem Gegner ist, bei Argentinien 8-mal."
Charly Rexach, der alles war bei Barça, Stürmerlegende, Trainer und nun Prophet ihres Stils ist, ließ seinen Tennispartner warten, so sehr befeuerte ihn seine Analyse: "Messi ist der gleiche Spieler, bei Barça wie bei Argentinien. Aber der beste Fußballer kann heute nur so gut sein, wie ihn die Spielzüge seines Teams machen."
Bis vor Kurzem fanden die meisten Trainer wie Maradona, beim Angriff dürften die Spieler ihre Intuition ausleben, nur die Defensive müsse taktisch strikt organisiert sein. Nun aber haben Teams wie Champions-League-Sieger Barça die Angriffszüge gnadenlos automatisiert. Selbst Messi ist bei Barca nur innerhalb klarer Schemata spontan. Beim ersten Pass von Spielmacher Xavi etwa soll Messi immer direkt zu Xavi zurückpassen und dann lossprinten, weil der zweite Pass steil kommt. Bei Argentinien passt Messi zurück und weiß nicht, was als Nächstes kommt.
Die Entwicklung lässt selbst Trainer wie Luiz Scolari, Weltmeister mit Brasilien 2002, oder José Mourinho, Europacupsieger 2004 mit Porto, auf internationalem Niveau auf einmal als Verlierer zurück, weil sie weiterhin mit allenfalls losen Vorgaben angreifen lassen.
Ein Trainer wie Maradona weiß gar nicht, wie ihm geschieht. Er klebt Botschaften an die Wand, er geht mit der Mannschaft zum Beten in die Kirche. Maradona motiviert sein Team, er kann das Spiel halbwegs analysieren, er glaubt, er rede von Taktik, wenn er sagt, sie sollten viel über die Flügel angreifen. Er weiß gar nicht, was ihm fehlt. Es ist schwer einzusehen, dass spontaner Instinktfußball heute chaotisch wirkt, wenn man mit spontaner Kreativität zum besten Fußballer der Geschichte wurde.
Es ist bitter, dass just Argentinien die Automatismen verlor. Es war unter Trainer José Pekerman bei der WM 2006 das Vorbild des mechanischen und gerade deshalb anmutigen Angriffs. Aus dem zentralen Mittelfeld wird der Ball obligatorisch auf die Flügel gespielt, und drei Spieler starten sofort auf vorgegebene, offensive Positionen, so dass der Mann auf dem Flügel mit dem Ball weiß, ohne aufschauen, ohne nachdenken zu müssen, wo er nun drei Anspielstationen findet. Mechanische Teams werden immer schneller spielen als improvisierende Mannschaften. Keine Botschaft, mit Tapeverband an der Wand, kann diese Wahrheit noch übertünchen.
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