Manu Chao: "Euer Präsident ist der größte Terrorist"
Manu Chao, das singende Attac-Manifest, hat ein neues Album gemacht: "La Radiolina". Damit könnte er es in den USA schaffen - seine Bush-Kritik kommt dort jedenfalls an.
90.000 waren es, die der Ankunft ihrer Helden harrten. Die Crossover-Band Rage Against The Machine waren angekündigt, extra wiedervereinigt für das Festival im kleinen kalifornischen Örtchen Coachella. Jetzt galt es für die Massen nur noch, diesen seltsamen Typen aus Europa zu überstehen, der ja da drüben und in Südamerika eine große Nummer sein soll, sich aber hier in den Staaten mit seiner obskuren Mischung aus Reggae, Hiphop, Ska und Folkore aus Afrika und Südamerika partout in kein Radioformat fügen will.
Einen mittlerweile legendären Auftritt später hatte Manu Chao die 90.000 in der Tasche. Und zwar so, dass sie ihnen völlig unbekannte Texte in einem verwegenen Sprachenmischmasch mitsangen und sogar frenetisch jubelten, als dieser Typ aus Europa ihren Präsidenten als den "größten Terroristen auf diesem Planeten" bezeichnete. Diese Episode aus dem vergangenen April illustriert zweierlei: Dass die amerikanischen Massen mittlerweile Äußerungen feiern, für die sie noch vor kurzem deren Urheber gelyncht hätten. Und dass der nordamerikanische Markt der Eroberung durch Manu Chao harrt.
Nun, da Manu Chaos erstes reguläres Album seit sechs Jahren, "La Radiolina", mit mehrmonatiger Verzögerung doch noch herauskommt, scheint die Zeit dafür reif. Die hispanische Bevölkerung ist die am schnellsten wachsende in den USA und wird noch verstärkt durch die illegalen Einwanderer vor allem aus Mittel- und Südamerika. Erstmals hat Chao in diesem Sommer eine längere Tournee durch die bislang von ihm vernachlässigten Vereinigten Staaten absolviert, dabei stets ein Transparent im Rücken mit dem Slogan "Immigrants are not criminals". Auch musikalisch scheint Chao für die Übernahme der US-Charts bestens gerüstet: Im Vergleich zu den in Europa und Südamerika massiv erfolgreichen früheren Alben "Clandestino" und "Proxima Estacion: Esperanza" finden sich auf "La Radiolina" mehr elektrische Gitarren und eine leicht härtere Gangart. Abgemischt haben das Album die beiden US-Amerikaner Mario Caldato (Beastie Boys, Jack Johnson) und Andrew Scheps (Red Hot Chili Peppers). Der Vorsänger der Antiglobalisierungsbewegung ist dabei, ein wahrhaft globalisierter Star zu werden.
Ein Status, den sich José-Manuel Thomas Arthur Chao redlich verdient hat. In Paris geboren und aufgewachsen als Sohn politischer Flüchtlinge aus dem Franco-Spanien, hat der 46-Jährige Pässe aus Spanien und Frankreich, Wohnsitze in Marseille und Paris, eine Lebensgefährtin und ein Studio in Barcelona, einen Sohn in Rio de Janeiro und ein Leben, das er meist aus dem Rucksack bestreitet. Auf ausufernden Reisen sammelt er Eindrücke und Klänge, Rhythmen und Sprachfetzen, die Geräusche der Ghettos, Slums und Favelas, die Sirenen der Rettungswagen, die Klagen der Rechtlosen, aber auch den Sound ihrer Partys. Das alles fügt er zu einem Hybrid, das doch immer wie aus einem Guss wirkt und den Soundtrack lieferte für die Proteste von Genua oder Heiligendamm. So steht der "Clandestino" - der Titelgeber seines ersten Soloalbums, der Reisende zwischen den Welten, zwischen Nord und Süd, zwischen Arm und Reich - bis heute im Mittelpunkt des Schaffens von Manu Chao.
Auch auf "La Radiolina" findet diese Zerrissenheit wieder zu einer geschlossenen Form. Diesmal singt Chao Französisch, Spanisch, Portugiesisch und erstmals Italienisch. Dafür verzichtet er immerhin auf das früher auch schon mal eingesetzte Wolof oder Arabisch, um seine Songs über die Liebe und den Fußball, die wirtschaftlichen und politischen Zusammenhänge vorzutragen. Die entscheidenden Slogans aber, wie in dem Song "Politik Kills", hat er wieder in einem einfachen, fast kindlichen Englisch verfasst: "Politik use drugs, politik use bombs / Its an evidence, politik is violence." Und in der bereits seit Wochen auf seiner Website zum kostenlosen Download bereit stehenden Single "Rainin in Paradize" reimt er Schlagwörter wie "atrocity" (Gräuel) oder "fatality" (Todesopfer) auf "democracy" und "hypocrisy" (Heuchelei).
Nicht nur für seine Musik gilt: So vielschichtig der Sound, so eingängig die Melodien. Dieses Prinzip findet seine Fortsetzung auch auf inhaltlicher Ebene: So komplex die Zusammenhänge, so simpel die Botschaften. Eine Kunst, die Chao von seinen beiden Eckpunkten-Vorbildern, The Clash und Bob Marley, gelernt hat: Von den britischen Punkrockern übernahm er die Erkenntnis, dass eine gute Pose oft überzeugender ist als eine logische Argumentation. Und der früh verstorbene Marley ist für ihn "der Professor der Simplizität".
Mit diesem Rüstzeug im Gepäck wird "La Radiolina" zu einer Platte, die die attacschen Grundanforderungen so souverän wie unterhaltsam erfüllt: Immer einen flotten Slogan auf den Lippen, der die Verhältnisse nicht allzu kompliziert aussehen lässt, denn schließlich muss die Bewegung massenkompatibel bleiben. Immer ein wenig nachdenklich, aber natürlich niemals auf Kosten einer hemmungslos guten Feierlaune. Oder, wie es Manu Chao in einem Interview kürzlich selbst formulierte: "Am besten bringt man die Botschaft rüber mit einer großen, lustigen Party."
Dass auch die nächste Party groß wird, wenn nicht sogar noch größer, ist weitgehend garantiert - auch wenn Manu Chao die Erfolgsgesetze des internationalen Popgeschäfts weiterhin nicht befolgen will. Gegen dessen Spielregeln agiert er weniger systematisch und planvoll, als dass er sie einfach missachtet, indem er Karriereentscheidungen vorzugsweise aus dem Bauch heraus trifft. Mal setzt er sich brav zum von der Plattenfirma geplanten Interviewtermin, mal verschwindet er kurz vor einem seit Monaten eingefädelten Fernsehauftritt zu einer Rucksackreise. Nach der 2001 millionenfach verkauften "Proxima Estacion: Esperanza" kündigt er dem international agierenden Konzern, der diesen Erfolg ermöglichte, und bringt anschließend in Kleinstauflage ein Kinderbuch mit beiliegender CD heraus, das nur an französischen Kiosken verkauft wird. Dann produziert er das malische Duo Amadou & Mariam an die Spitze der Charts. Gerade arbeitet er für Emir Kusturica an dem Soundtrack zu einem Film über Diego Maradona. Und "La Radiolina" nun erscheint in Frankreich bei einem Indielabel, wird aber hierzulande von einem Major vertrieben. Glaubt man Gerüchten, besitzt Manu Chao noch nicht einmal ein Handy. Sollte es also tatsächlich mit dem Erfolg im Reich des Bösen klappen, hätte die CIA Probleme, den neuen Staatsfeind Nummer eins abzuhören.
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