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Mannsbild zwischen Wayne & Allen

■ PädagogInnen in rechten Szenen entdecken: Rechtsextremismus ist ein Männlichkeitsproblem

Die Zeit, als man sich elektrisiert nach gröhlenden Kahlköpfen in Springerstiefeln an der Straßenecke umschaute, ist fast vorüber. Über den Morden von Mölln und Solingen hat das öffentliche Bewußtsein schon eine Schicht Vergessen abgelagert – erstens, weil es seitdem derart drastische und spektakuläre Vorkommnisse kaum gab. Und zweitens, weil ein gerüttelt Maß an Fremdenfeindlichkeit „bereits normal“ geworden sei. In dieser Einschätzung stimmten am Freitag nachmittag drei Experten beim vierten „Erfahrungsaustausch für MitarbeiterInnen in rechten Jugendszenen“ im Lidice Haus überein.

Dennoch, Kürzungen bei den Ausgaben für die Arbeit mit rechtsradikalen Jugendlichen dürfe es nicht geben, forderten die drei Referenten Andrea Müller (Lidice Haus), Franz Josef Krafeld (Hochschule Bremen) und Kurt Möller (FH Esslingen). Ein Anlaß für öffentliche Entwarnung sei nicht gegeben – allenfalls herrsche „scheinbare Ruhe“ in der Szene. Das habe der Erfahrungsaustausch mit 35 MitarbeiterInnen aus den verschiedensten Projekten ebenso ergeben, wie eine anhaltende Gewaltbereitschaft, die bei „einem geeignetem Anlaß“, etwa der Asyldebatte, sofort problematisch würde.

Neu sei allenfalls, daß männliche Jugendliche Agressionen verstärkt gegen sich selbst richteten: War früher die Selbstverstümmelung eine eher weibliche Domäne, beobachten Insider das Schneiden und Ritzen neuerdings auch bei Jungen.

Doch die Experten warnen: Daraus, daß Glatzen und Fliegerjacken seltener auf der öffentlichen Bildfläche erscheinen, dürfe man nicht schließen, daß sie auch weniger würden. „Springerstiefel und Glatze sind out und werden stigmatisiert“, stellte Franz Josef Krafeld fest. Aber gleichzeitig zur äußerlichen Anpassung durch langes Haar beispielsweise habe eine bedenkliche Entwicklung stattgefunden: Die Asylrechtsreform bestärkte viele rechte Jugendliche in der eigenen Fremdenfeindlichkeit. Außerdem hätten sie „den geheimen Lehrplan“ dieser Gesellschaft verstanden. „Der sagt nämlich: Gewalt zahlt sich aus.“ So würden die rund 60 Projekte der akzeptierenden Jugendarbeit bundesweit in der Szene eher als Zugeständnis an Gewalttätigkeit verstanden.

Gerade jetzt, bei drohenden Mittelkürzungen, würden diese frühen „Erfolge“ der Gewalt wiederbelebt. „Oft genug bekommen PädagogInnen von den Jugendlichen ein selbstbewußtes: –Das laßt uns nur machen, das regeln wir schon' zu hören“, berichtete auch Möller.

Nach wie vor gilt die Arbeitsleitlinie, „diese Jugendlichen machen Probleme, weil sie Probleme haben“. Die Projekte bemühen sich darum, „Equivalente zur Gewalt“ anzubieten. MitarbeiterInnen gehen davon aus, daß hinter dem Auftreten der Jugendlichen Bedürfnisse stecken, die sich auch anders lenken lassen. Insgesamt seien politische Probleme jedoch nicht per Pädagogik zu lösen – auch wenn die PädagogInnen gerade einen neuen Ansatz für ihre Arbeit entdeckt haben.

„Rechtsextremismus ist ein Männlichkeitsproblem“, benannte den der Esslinger Soziologe Möller. Aus den Fakten, daß 95 Prozent aller rechtsextremistischen Straftäter und 90 Prozent der allgemeinen Gewaltkriminellen Männer seien, müßten endlich auch Konsequenzen für die Jugendarbeit gezogen werden. „Die Frage muß sein, wie krieg ich's hin, ein Mann zu werden.“ Allerdings: positive Vorbilder fehlen, denn auch in den Medien wandele sich das Männerbild, „weg vom moralischen Cowboy hin zum Terminator, der außerhalb von Moral agiert.“

„Allerdings haben wir dieses Thema jahrelang selbst blockiert“, so Möller. Eigene Angst sei wohl der Grund dafür gewesen: „Dieser Ansatz setzt doch voraus, daß sich auch PädagogInnen über ihre Geschlechterrolle Gedanken machen.“ Aber auch die offene Form der gemischten Cliquen erschwere den Prozeß, neue Männlichkeitsbilder zwischen John Wayne und Woody Allen zu entwickeln. „Mit der sonst üblichen geschlechtsspezifischen Jugendarbeit – hier die Mädchen, da die Jungen, und jetzt reden wir mal getrennt“, komme man bei diesen Jugendlichen nicht weit. Es gehe nicht um die gepflegte Diskussion, sondern darum, die Rollen praktisch anders vorzuleben. „Wie das gehen kann, wird das Thema des nächten Erfahrungsaustausches sein“. Zum diesjährigen waren, übrigens erstmalig, mehr Frauen als Männer gekommen. Kein Zufall womöglich, daß das Geschlechterthema endlich aufs Trapez kam.

ede

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