■ Mani pulite: Scheinheiligkeit zu immer neuen Gipfeln: Mißglückte Instrumentalisierung
Italiens Politiker wollen und wollen es noch immer nicht glauben: Selbst so verzweifelte, alles menschliche Mitgefühl herausfordernde Taten wie der Selbstmord eines seit vier Monaten gefangengehaltenen Managers ist nicht mehr dazu angetan, das Volk wieder an seine bisherigen Herrscher anzunähern. Wer nach dem Suizid des ehemals zweitmächtigsten Managers Italiens etwas in Volkes Stimme hineinhorcht, wird an den sonst so mitleidsbereiten Italienern eine völlig neue Entdeckung machen: Sie lassen sich durch derlei nicht mehr umstimmen. Für sie war der Mann eben einer von „jenen“, denen man Knast oder noch Schlimmeres, in jedem Fall aber absolutes Verschwinden wünscht. Nur eine Angst wird überall spürbar: Werden „die“ es nun schaffen, die Antikorruptionsermittlungen „Mani pulite“ zu stoppen?
Daß die Politiker genau das versuchen, war vom ersten Moment an zu spüren – Worte wie „Justizmord“ oder „kühl kalkulierter Zwang zum Suizid“ flogen durch die abendlichen Fernsehsendungen. Plötzlich entdeckt das hochmögende Italien die „Grauenhaftigkeit des Weggesperrtwerdens“ (Fernsehsendung Panorama), vermuten Justizminister und Staatspräsident den „Mißbrauch der U-Haft zum Herauspressen von Geständnissen“ und warnen vor dem „Pranger, an den Italien da international gestellt werden wird“.
– Von wegen: Wenn Italien international in letzter Zeit etwas gutgemacht hat, dann durch den erstaunlichen Selbstanklageprozeß „Mani pulite“, in dem ranghohe Manager und Unternehmer ihre Bestechungen geradezu heraussprudelten. Kein Zweifel, daß viel von dieser „Läuterung“ im Knast geschehen ist. Und die Politiker, manche noch von parlamentarischer Immunität geschützt, fürchten zu Recht, in jenes System hineinzugeraten, das ja wohl sie selbst durch ihre Gesetze geschaffen haben – allerdings natürlich für andere, nicht für sich gedacht.
Nie hat man vor der Zeit von „Mani pulite“ auch nur von einer parlamentarischen Anfrage gehört, die jenen 200 Menschen gegolten hätte, die allein in den letzten 10 Jahren als Gefängnisinsassen oder vom Knast Bedrohte Selbstmord begingen. Und als das Parlament während der achtziger Jahre zwecks Ausrottung des „Linksterrorismus“ die Dauer der Untersuchungshaft auf über elf Jahre hochsetzte, hat gerade die heute ach so humanitäre Zunft der Cagliari- Freunde jeden, der das kritisierte, als Terroristenfreund denunziert und in vielen Fällen auch für seine strafrechtliche Verfolgung gesorgt. Werner Raith,Terracina
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