: Manfred Stolpe: Keine Leiche im Keller
Noch bis März 1990 hatte Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) Kontakte zur Stasi/ Stolpe eröffnet im 'Spiegel‘ Debatte in eigener Sache/ CSU-Generalsekretär Huber fordert Rücktritt ■ Von Klaus Wolschner
Berlin (taz) — Mitten in die fast täglichen Enthüllungen über Stasi-Mitarbeiter hinein hat sich der Ministerpräsident des Landes Brandenburg, Manfred Stolpe, in einer Vorab-Veröffentlichung zu seinen vielfältigen Kontakten auch mit dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) bekannt. Stolpe versteht seinen 'Spiegel‘-Beitrag als einen „Beitrag zur Aufklärung über das SED-System“. Dafür habe er „eigentlich einen Orden verdient“.
Tatsächlich trägt der Beitrag Stolpes wenig zur Aufklärung über die Verstrickungen zwischen Stasi und Kirchen der DDR bei. Stolpe versichert in allgemeinsten Worten lediglich seinen guten Willen: Er habe „aus der trostlosen Lage noch das jeweils Bestmögliche für die Menschen in der DDR herausholen“ wollen, „den SED-Staat durch seine eigenen Machtmittel zu überlisten“ getrachtet, um das System zu verändern und „die DDR auf den Weg zum Rechtsstaat zu locken“.
Mit 23 Jahren war Stolpe 1959 in den kirchlichen Dienst eingetreten. „Meine Arbeit war auf Erfolg orientiert, die Methoden waren weithin mir überlassen. Erfolge waren aber nur möglich, wenn ich mit den Mächtigen in allen Bereichen sprach — also auch mit der Staatssicherheit“, schreibt Stolpe. Er habe geglaubt, „politische Ziele auch auf dem Umweg über die Staatssicherheit erreichen“ zu können. Zu der Frage, ob eventuell auch die Staatssicherheit über den Umweg der Gespräche mit Stolpe etwas erreichen konnte, schweigt der heutige Politiker. Ebenso im dunkeln bleibt, wie intensiv die Stasi-Kontakte waren. Stolpe räumt ein, etwa tausend Gespräche mit staatlichen Vertretern zwischen 1959 und 1990 gehabt zu haben. Es könne durchaus sein, daß davon zwölf auch mit MfS-Leuten direkt gewesen seien, meinte Stolpe am Samstag vor Jounalisten in Bremen. In seinem 'Spiegel‘-Beitrag ist von „regelmäßigen Treffen und Gesprächen“ seit Ende der 60er Jahre die Rede. Stolpe schildert, wie die Stasi- Leute sich nicht in seinem Büro mit ihm treffen wollten, sondern konspirative Wohnungen, Restaurants oder Klubhäuser bevorzugten. Während einer eigens am Sonntag in Potsdam einberufenen Presekonferenz erklärte Stolpe dann, er habe noch nach der Wende, bis März 1990, mit MfS- Mitarbeitern in seiner Wohnung gesprochen. Stolpe: „Ich bin kein Verräter. Ich habe keine Leiche im Keller.“ — Die Abteilung XX.4 der Staatssicherheit (Kirchenfragen) hat die wichtigsten Akten vernichtet; von Stolpe wurden bisher weder Akte noch Karteikarte gefunden. Dennoch schreibt Stolpe in seinem Beitrag, wie das interpretiert werden muß, was im Zusammenhang mit seinem Namen in anderen Stasi-Akten jetzt bekannt werden könnte: „Die Akten werden zeigen“, heißt es da, daß die Stasi sich „den ruhigen Verlauf von Veranstaltungen zugute gehalten und als Erfolg verbucht“ hat. „In den Berichten dürfte kaum stehen, daß die Kirchenleitungsvertreter in aller Regel auch ohne Einwirkung der Staatssicherheit krasse Zuspitzungen zu vermeiden suchten, weil ziemlich durchweg das Gebot galt: Du sollst den Löwen nicht in den Schwanz kneifen.“
Schweigen habe die Stasi als Zustimmung gewertet. Eben dies, zu oft zu den „Litaneien“ der Staatsvertreter geschwiegen zu haben, hält Stolpe im nachhinein für „moralisch nicht richtig“. Es habe auch andere gegeben, etwa den Bischof Forck, der deutlich widersprochen habe. „Gute Freunde haben mich davor gewarnt, nur noch eine Strategie der Konfliktvermeidung zu betreiben...“, spielt Stolpe auf innerkirchliche Kritik an seiner Rolle an und räumt ein: „Den entscheidenden Schritt auf der Straße taten andere.“
Ein ehemaliger Stasi-Oberst der für Kirchenfragen und die Bürgerbewegung zuständigen Hauptabteilung XX des MfS erklärte, seine Abteilung habe bis zum März 1990 mit Stolpe Kontakt gehabt. Stolpe sei nicht als „Inoffizieller Mitarbeiter“ geführt worden, und seine Informationen und Berichte seien in einem operativen Kontrollvorgang (OPK) gesammelt worden.
Ost- und westdeutsche Politiker von Johannes Rau bis Rainer Eppelmann sowie der Beauftragte für die Stasi-Akten, Joachim Gauck, gaben am Wochenende Ehrenerklärungen für Stolpe ab. Stolpe müsse sich allerdings fragen lassen, warum er erst jetzt zu seinen Gesprächen mit der Stasi Stellung nehme, meinte Brandenburgs CDU-Fraktionsvorsitzender Diestel. Das „lange Schweigen“ müsse erklärt werden.
Vertreter von Bürgerkomitees zur Auflösung der Staatssicherheit aus der Ex-DDR haben Zweifel an Stolpes Darlegungen geäußert. Stolpe habe den Charakter seiner Beziehungen zur Stasi selbst interpretiert und gewertet. Es sei „eine peinliche Selbsteinschätzung, wenn Herr Stolpe meint, mit seinen jahrzehntelangen Kontakten die Stasi und die SED positiv beeinflußt zu haben“.
CSU-Generalsekretär Erwin Huber dagegen hat den Ministerpräsidenten der Brandenburger Ampel- Koalition zum Rücktritt aufgefordert. Stolpe habe als Kirchenführer in der DDR offenbar bedenkenlos „vertrauensvoll und eng mit den Tätern von der Stasi“ zusammengearbeitet.
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