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Manche Ärzt*innen können ihren Gott nicht aus der Gebärmutter anderer halten. Sie haben den falschen JobDoktor Anti-Choice

Foto: Ilgen-Nur Borali

Habibitus

Hengameh Yaghoobifarah

Als Jugendliche fuhr ich zur Castorblockade nach Gorleben und war mir sicher, dass andere und ich im linksgrün versifften™ Bündnis in Kaltland was drehen könnten. Ich war jung, romantisierte weiße Hippies und glaubte, die Revolution schon zwischen dem kalten Matsch auf dem Boden spüren zu können. Jahre später befinden wir uns in einer Realität, die einem dystopischen Roman kaum stärker ähneln könnte, und ich merke: Leider nein, leider gar nicht, sorry.

Der Horror spielt sich nicht nur in den USA ab, wo ein Haufen alter Typen bestimmt, was Menschen mit Reproduktionsorganen machen dürfen, die jene Typen selbst nicht besitzen.

Nun entschied ein neuer Chefarzt der Gynäkologie, dass er keine Abtreibungen durchführen wird. Es verstieße gegen seinen christlichen Glauben. Die betroffene Capio-Elbe-Jeetzel-Klinik liegt im Wendland, also dort, wo ich vor Jahren meine erste Vision einer emanzipatorischen (und latent fragwürdigen) Gesellschaft hatte.

Es gibt immer Aufgaben, die wir ethisch nicht vertreten können, ich könnte mir zum Beispiel nicht vorstellen, aus Ferkeln bärchenförmige Wurst zu pressen. Deshalb halte ich mich von der Fleischindustrie fern.

Wer Abtreibungen für Mord hält, sollte vielleicht nicht Gynäkolog*in werden, sondern in die HNO-Abteilung, Kopfhörer-Herstellung oder meinetwegen auch Floristik gehen. Hauptsache weit weg von Gebärmüttern. Abtreibungen sind nämlich Teil des gottverdammten Jobs. Wenn Lehrer_innen es unethisch finden, ihre Schüler_innen nach einem überholten Notensystem zu bewerten, wird ihnen gesagt, Sozialarbeiter*innen zu werden. Was Chefarzt Thomas Börner für sich selbst als unmoralisch empfindet, überträgt er auf seine ganze Abteilung. Selbst der Klinikchef unterstützt das Verbot.

Faszinierend (lies: rassistisch und sexistisch), dass Lehrerinnen mit Kopftuch in Sachen Religionsfreiheit zugunsten des Neutralitätsgesetzes abkacken, aber ein „bekennender Christ“ einfach mal in die körperliche Selbstbestimmung anderer Menschen eingreifen darf. Ich bin auch bekennende Muslima, aber reiße niemandem Bifis aus der Hand und schreie „Haram!“, denn ich wurde zu einem respektvollen Menschen erzogen.

Würde Mord ihn wirklich so hart belasten, würde er die ungewollt Schwangeren des Landkreises nicht zu lebensgefährlichen Abtreibungsmethoden zwingen – oder zur Elternschaft. Es gibt unzählige Fakten, die gegen seine Argumentation halten, das weiß auch der Capio-Konzern, der mit der Entscheidung seiner Klinik unzufrieden ist. Auch die niedersächsische Landesgesundheitsministerin Cornelia Rundt drohte mit Subventionskürzungen, sollte das Abtreibungsverbot dort nicht aufgehoben werden. Wenn es um Geld geht, ändern sich die Spielregeln häufig, darauf vertrauen viele. Doch es gibt genug christliche Multimillionäre, die einer konservativen Klinikführung Geldscheine rüberschieben würden, einfach, weil sie es können. Make it rain for misogyny! Im Gegensatz zu meiner pazifistischen-bürgerlichen Weltanschauung mit 17 weiß ich jetzt: Vertrauen ist gut, Schelle ist besser.

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