Man muss aufhören können zu siegen!

POLITISCHES BUCH Ein charmant auch Angela Merkel lobender Gregor Gysi stellt wahlkämpfend in der Kalkscheune sein neues Buch, „Wie weiter?“, vor

Ein wenig präsentierte sich der sehr frisch wirkende Gysi als Elder Statesman

Schätzungsweise 200 Leute waren am Dienstagabend in die Kalkscheune gekommen, um Gregor Gysi zu sehen, der sein neues Buch mit dem sinnigen Titel „Wie weiter?“ vorstellte. Knut Elstermann von Radio Eins moderierte die Veranstaltung. Das Publikum war gut gemischt. Viele Ehepaare über sechzig, ein paar junge Menschen, eher mehr Frauen als Männer.

Die meisten wohlwollend, aufmerksam und dankbar für jede Pointe, die mit Zwischenapplaus bedacht wurde. Manche sahen aus wie Urlauber. Normale Leute im positiven Sinne, eigentlich so ähnlich wie bei den Helge-Schneider-Auftritten im Admiralspalast.

Auf jedem Platz lag ein Exemplar Neues Deutschland. Es handle sich nicht um eine Wahlkampfveranstaltung, sondern um eine Buchvorstellung, sagte Elstermann anfangs. Gysi korrigierte ihn. Sein Buch spare das Private aus, es gehe um seine politischen Vorstellungen, und er könne natürlich nicht darauf verzichten, Leute überzeugen zu wollen. Worum er sich dann auch in gewohnter Weise, also lehrreich unterhaltsam, bemühte. So gab es zusammen mit Knut Elstermann, gleichfalls ein Redeprofi, kaum Pausen in dem Gespräch.

Arbeitsmarkt, Finanzkrise

Die Themen des Buchs wurden abgehakt: Arbeitsmarkt, Finanzkrise, Auslandseinsätze, noch einmal ein bisschen die Vereinigung.

Der Satz „Man muss aufhören können zu siegen!“ leuchtete mir sofort ein. Gysi bezog ihn auf die Vereinigung, darauf, dass der Westen nicht einen positiven Ansatz der DDR – wie etwa die polytechnischen Gymnasien, an denen man nicht nur Abitur machte, sondern auch eine Berufsausbildung – übernommen hatte, und illustrierte das mit einem Beziehungsbeispiel: Wenn der eine Partner den anderen schon zweimal besiegt hat, sollte er es nicht ein drittes Mal versuchen. Das gefährdet die Beziehung.

Elstermann sagte, er hätte das Kapitel über die Finanzkrise nicht verstanden. Gysi erklärte es noch einmal und verglich die Politik gegenüber den europäischen Krisenstaaten mit den Versailler Verträgen nach dem Ersten Weltkrieg. Nun hatte es Elstermann besser kapiert, und er schlug Gysi vor, doch vielleicht ein Hörbuch zu machen.

Ein wenig präsentierte sich der sehr frisch wirkende Gysi als elder statesman, sagte nette Sachen über Angela Merkel, lobte ihr uneitles Auftreten. Man spüre, dass sie keine finanziellen Interessen habe, auch hätte sie so ein nettes Lächeln. Allerdings sei es völlig zufällig, dass sie in der CDU gelandet sei. Genauso gut hätte es auch die SPD sein können.

Es sei schon gut für die Demokratie, dass die CDU im Bundestag sei, weil sie so viele Menschen repräsentiere. Es ist aber auch ein „demokratischer Gewinn, dass es uns gibt“. Selbst wenn die Linke wie zu erwarten nicht an der Regierung beteiligt ist, führen Stimmen für die Linke dazu, dass die anderen Parteien sozialer werden.

Irgendwann erzählte Gysi von seinem Tagesablauf: Um 6.15 Uhr – „exakt meine Zeit“ – war der Fraktionsvorsitzende der Linken also aufgestanden. Ein Auto hatte ihn dann zu einem Treffen mit Unternehmern gefahren, bei dem er sich bemühte, um Akzeptanz für seine Partei zu werben. Danach gab es ein Interview mit der taz und eins mit der Saarbrücker Zeitung. „Auch nicht einfach.“ Anschließend ging es zu Maybrit Illner.

Eine Talkshow wollte aufgenommen werden. Um 19.30 Uhr dann die Buchvorstellung in der Kalkscheune. Danach Bücher signieren. Eine Frau sagte zu ihrem Mann: „Es war eine schöne Veranstaltung, nicht?“ – „Ja.“

Später in der Kulturbrauerei bei der von dort aus live übertragenen Sendung „Politiker-Check“ sammelte Gysi weiter Punkte und wurde von den Zuschauern mit Abstand zur Nummer eins gewählt. Am nächsten Morgen wollte er dann mal später aufstehen. DETLEF KUHLBRODT

■ Gregor Gysi: „Wie weiter? Nachdenken über Deutschland“. Verlag Das Neue Berlin, 192 S., 12,99 Euro