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Maler Eduard BargheerEin Gewebe für die Welt

Der Maler Eduard Bargheer ist zu Unrecht fast vergessen. Zurzeit ist sein Werk in zwei Ausstellungen zu sehen, die seine Zeit in Hamburg und im selbst gewählten italienischen Exil widerspiegeln.

Überstand sogar den Umbau des Niedersachsenstadions: Eduard Bargheers Mosaik "Sport" (1962/63) in Hannover. Bild: DPA

Das frühere Fischerdorf Blankenese gehört zu den malerischsten Winkeln Hamburgs: Durcheinander gewürfelt, aufeinander getürmt klammern sich kleine, windschiefe Häuser an den Elbhang, verbunden durch enge, gewundene Straßen und zahllose in den Hang geschlagene Stufen, treppauf, treppab. Mittendrin in diesem Viertel, das einer Kinderfantasie entsprungen sein könnte, wohnte und arbeitete einer der größten Maler der Stadt, Eduard Bargheer. Die Kate, die er 1935 von einem Fischer übernahm, steht noch heute und lässt sich bei vorheriger Ankündigung besichtigen: Sie beherbergt den Nachlass, den zwei enge Freunde des 1979 verstorbenen Malers betreuen.

Seither kuratieren Dirk Justus und Peter Silze unermüdlich Bargheer-Ausstellungen, geben die Bargheer-Beiträge heraus und unterstützen mit der Bargheer-Stiftung junge Maler. Zurzeit haben die beiden besonders viel zu tun. In der Hamburger Kunsthalle hat gerade die Ausstellung "Eduard Bargheer in Hamburg" eröffnet, zeitgleich ist eine Biographie des Malers erschienen, verfasst vom Kunsthistoriker Volker Plagemann. Im Haus des Malers selbst zeigen Justus und Silze, als Kontrapunkt zur Kunsthalle, "Bargheer in Italien". Und dann ist da noch ihr lang verfolgtes Projekt eines Bargheer-Museums in Hamburg: Finanziert von der Reemtsma-Stiftung könnte es schon bald im leer stehenden Altonaer Bauamt am Jenischpark Form annehmen. Wozu allerdings noch der Konkurrent Meinhard von Gerkan aus dem Feld geschlagen werden muss, der dort gerne einen wuchtigen Neubau für seine Architekturkaderschmiede CAA sähe.

Für Hamburg wäre das Museum ein Glücksfall. Nicht nur des ästhetischen Werts der Bilder wegen. Sondern auch, weil Bargheer ein Künstlerschicksal durchlebt hat, das vielfach Anknüpfungspunkte bietet, um über das 20. Jahrhundert zu reflektieren. Die Sezessionsbewegungen der Kunst, deren Bedrängnis im Dritten Reich, Exil, Kriegszerstörung, aber auch die Sehnsucht nach dem Süden: Bargheer hat dafür Worte, Farben und Formen gefunden, die noch heute überzeugen.

Zuletzt wäre das Museum ein Stück nachträgliche Wiedergutmachung: In Hamburg hat man Bargheer geschätzt - geliebt, unterstützt und ihm zum internationalen Durchbruch verholfen, hat man ihn aber anderswo: in Hannover und noch tiefer im Süden und Westen. Dort saß seine Sammlerklientel, die erste Retrospektive zeigte die Kestner-Gesellschaft, und am Stadion von Hannover 96 prangt sein größtes Mosaik, mit 201 Quadratmetern auch eines der größten deutschlandweit. Beim Umbau des alten Niedersachsenstadions zur "AWD Arena" wurde es versetzt und aufwändig restauriert.

Ursprünglich sollte das Mosaik Fernand Léger entwerfen. Als der Franzose 1955 starb, entschied man sich für Bargheer. Der hatte gerade auf der ersten Documenta in Kassel und einige Jahre zuvor auf der Biennale in Venedig ausgestellt und galt im In- und Ausland als einer der wichtigsten deutschen Künstler. Fast alle bedeutenden Museen in Deutschland erwarben Werke von Bargheer. Eines ging sogar in die DDR: ein Prozessionsbild, das man mit bewundernswerter Chuzpe als Faschingsumzug unters Volk brachte.

Angefangen hat der früh verwaiste Bargheer als Autodidakt. Es sei das Licht, das ihn zeitlebens fasziniert und dessen fortwährender Wandel auf der heimatlichen Elbinsel Finkenwerder ihn überhaupt erst zum Maler gemacht habe, erzählen Justus und Silze. Einige seiner schönsten Bilder stammen aus der Zeit direkt am Deich: Gerippe von Bäumen, die in zarten, farbig zerlegtem Licht hinunter zur Elbe laufen oder der Strom bei Ebbe und sein letztes Leuchten in der Dämmerung.

Nun kann man so gut malen wie man will: Um in Hamburg, der Stadt des Geldadels, anerkannt zu werden, muss man seit jeher auch in der so genannten "guten Gesellschaft" bestehen. Bargheer hatte das Glück, schon früh die richtigen Mäzene zu finden. Er portraitierte die Frau des Kaufmanns Lafrenz. Die war von dem Ergebnis derart beglückt, dass sie Bargheer beim Traditionsschneider Ladage & Oelke neu einkleidete und zu Studienzwecken nach Italien schickte. Später folgten ausgedehnte Reisen nach Frankreich und England, auf denen sich Bargheer strikt an den alten Rat Cézannes hielt: Statt die Akademien zu besuchen, studierte er in den Museen die Alten Meister.

1929 schloss sich Bargheer der Hamburgischen Sezession an, einer spätavantgardistischen Künstlervereinigung. Stilistisch vertraten die Maler der Gruppe einen an Munch angelehnten nordischen Expressionismus. Die fließende Kontur dominierte auch Bargheers Werke jener Jahre. Einflüsse kamen aber auch aus einem anderen Kulturkreis der Stadt: Bargheer freundete sich mit Erwin Panofsky und Max Warburg an, die gerade den wissenschaftlichen Grundstein zur Ikonographie legten und Hamburg mit der Warburg-Bibliothek zu einem der weltweit wichtigsten Standorte der Kunstwissenschaft ausbauten.

Verdunkelung der Palette

1933 war es damit schon wieder vorbei. Die Hamburgische Sezession löste sich im Mai auf, als Antwort auf die Forderung der Nationalsozialisten, sich von den jüdischen Mitgliedern zu trennen. Panofsky emigrierte, die Warburg-Bibliothek wurde nach London verlegt.

Bargheer blieb, geriet aber zusehends in Bedrängnis. Samuel Beckett, der sich 1936 einige Monate in der Stadt aufhielt und dabei den Maler öfters besuchte, sprach vom Bleiernen seiner Bilder, von erstarrten Motiven, von der Verdunkelung der Palette. Die NSDAP-Funktionäre hatten da einen weniger differenzierenden Blick. Ein Wandgemälde, das Bargheer für eine Schule ausführen konnte, wurde mit den Worten kommentiert: "Wenn das der Führer sähe, würde er alles kurz und klein schlagen."

1939 verlegte Bargheer seinen Wohnsitz nach Ischia, der "Fluchtinsel mitten im Faschismus", wie sie der langjährige Hamburger Kunsthallendirektor Werner Hofmann einmal nannte. Auch viele Juden wichen auf die Insel aus, es entstand eine kleine Künstlerkolonie. Bargheer bildete auf der Insel die Farbenpracht der Vegetation ab, das einfache Leben, Fischer mit ihren Netzen, Ruderer. Und doch verschloss er sich auch dort nicht den Zeichen der Zeit. Über der idyllischen Bucht von Forio wölben sich dunkle Wolken. Bargheer, der immer nach Gefühlslage malte, immer angestoßen von der sichtbaren Welt, schrieb dazu an seine Freundin Gretchen Wohlwill: "Heute war Scirocco … Ich habe was gemacht aus der Situation … Ich glaube, es drückt etwas aus von dem, wie augenblicklich die ganze Welt ist." Wenig später schwappen Verfolgungen und Deportationen vom italienischen Festland hinüber. Bargheer verschlug es in den letzten Kriegsjahren nach La Spezia und Florenz. Die wenigen Bilder aus dieser Zeit zeigen ein Massaker mit ineinander verkeilten, stürzenden Menschen oder ausgebombte Häuser, durch die irre Gestalten wanken.

An Klee geschultes Raster

Nach dem Krieg kehrt Bargheer nach Ischia zurück. Später verbringt er die Sommer in Forio, die Winter in Blankenese. Seine Malweise treibt er konsequent voran: Nichts bleibt mehr von der anschmiegsamen Linie seiner Anfangsjahre, ein an Klee geschultes Raster legt sich über seine Bilder: Vertikale und horizontale Beziehungen, ein Netz, aufgespannt zwischen Himmel und Erde, in dem sich die gegenständliche Welt verfängt und zu Zeichen, Chiffren und Symbolen gerinnt. Bargheer, der fand, das Einfache sei das Schwierige, hatte für diesen Strukturalismus eine schlichte Losung parat: "Gewebe ist überall."

Ein Gewebe sind Werk und Leben des Malers selbst. Wer sich damit beschäftigt, wird sich schnell darin verfangen. Als Dirk Justus und Peter Silze nach Blankenese zogen, widmeten sie sich dem ehrbaren Beruf des Bankkaufmanns. Nach der Begegnung mit ihrem Nachbarn Eduard Bargheer war es bald damit vorbei. Sie stellten ihr Leben ganz in den Dienst seiner Kunst. Zu ihrem und auch zu unserem Glück.

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