: Mal eben übern Hof zur Mensa?
■ Ein Aktionstag zur Chancengleichheit behinderter Studierender Von Katrin Wienefeld
An der Tür war–s mit dem Schwung vorbei. Als Uni-Präsident Jürgen Lüthje, im handbetriebenen Rollstuhl sitzend, endlich den Philturm erreichte, vermochten seine erlahmenden Armeskräfte die schwere Metalltür nicht lang genug offenzuhalten. Zwei Sekunden später, und der Rückschwung hätte den Präsidenten getroffen. Doch rechtzeitig hielten helfende Hände die Tür auf und den Weg frei.
Präsidiale Erkenntnis: „Nie hätte ich gedacht, daß relativ kleine Hindernisse an vielen Stellen es so schwer machen“. Außer Atem und schon wieder stehend wirkte Lüthje wahrlich beeindruckt von den Erfahrungen im Rollstuhl an der Uni. Immerhin hatte er sich im tapferen Selbstversuch über rund 200 Meter holpriges Kopfsteinpflaster gerollt. Nun sagte er aus eigener Erfahrung: „Es ist notwendig, mehr zu tun für Verkehrswege Seh- und Körperbehinderter.“
Der gestrige „Aktionstag für ein chancengleiches Studium“ der Interessengemeinschaft behinderter und nichtbehinderter Studierender (IG) sollte die Probleme Behinderter erfahrbar machen. Nichtbehinderte konnten sich im Rollstuhl über den Campus bewegen, fühlen, wie es sich blind im Unibetrieb zurechtfinden läßt, oder wurden in die Gebärdensprache eingeführt.
Da wird klar, wie sorgsam Körper- und Sehbehinderte ihre täglichen Wege planen müssen. Eben mal übern Hof zur Mensa? Ein kleiner Kraftaufwand. Dann die eigentlichen Hindernisse: Für Eingänge oder Aufzüge benötigt man den Schlüssel, die „Türen aufzuhalten, erfordert Kraft und Technik“, so erzählt Carsten Stützer. Der kräftige Rollstuhlfahrer schafft mit einer flotten Drehung locker die Eingänge. Aber wenn er mit Kommilitonen einen Kaffee im Grindelhof trinken will, muß er wegen der kleinen Treppen jedesmal ganz rum um den Campus. „Wenn ich es zu eilig habe, stürz ich schon mal hin“.
Aberwitzige architektonische Fehlplanungen belächeln die behinderten Studierenden schon lange. So wurden die Rampen, schön einheitlich mit dem übrigen Campus-Gelände, mit Kopfsteinen beflastert. „Das macht die ohnehin steilen Rampen noch anstrengender“, sagt Rollstuhlfahrer Christian Au. Ein Wegenetz quer übers Gelände, ausgelegt mit schlichten glatten Platten, wäre nicht nur praktischer, es würde zudem den Blinden als Orientierungshilfe dienen. Doch wegen des Haushaltsstops an der Uni und der allgemeinen Finanznot werden solche Planungen „als erstes wieder gestrichen“, vermutet Torsten Wolfsdorf von der IG. Da müßten sich Behinderte fragen, ob sie überhaupt ein Studium anfangen können. Der Sehbehinderte fordert ein Organisationsbüro, in dem Behinderte bei den kleinen Pannen des Alltags Hilfe holen können. Zum Beispiel, wenn die Tür nicht aufgeht.
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