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Archiv-Artikel

Mahner machen Mülheimern Mut

Der türkische Botschafter bezeichnet bei seinem Besuch in der Mülheimer Keupstraße den Nagelbombenanschlag als „terroristische Tat“. Kölner Initiativen halten eine Mahnwache ab

Von Pascal Beucker

Ali Irtemcelik schaut schockiert auf den zugenagelten Friseurladen. Hier ging sie hoch: die Nagelbombe, die vor eineinhalb Wochen 22 Menschen teilweise schwer verletzte. „Es ist eine terroristische Tat“, sagt der türkische Botschafter sichtlich betroffen. Mit der „sorgfältig geplanten“ Explosion sei versucht worden, möglichst viele Menschen zu treffen. „Man hat hier sehr viel Glück gehabt, es hätte auch Tote geben können“, betont Irtemcelik. Es sei eine Tat, die sehr verstöre.

Gestern um 12 Uhr besuchte der Botschafter zusammen mit Sertaç Sönmezay, dem Generalkonsul der Türkei in Köln, den Tatort in der Keupstraße. Ausführlich ließen sie sich von dem Leitenden Polizeidirektor Dieter Klinger über die neuesten Ermittlungsergebnisse berichten. Er sei hier, „um Informationen aus erster Hand zu bekommen und um den Betroffenen gute Genesung zu wünschen“, so Irtemcelik.

Rund hundert Hinweise sind inzwischen bei der Polizei eingegangen. Rund die Hälfte davon beziehen sich auf den mutmaßlichen Bombenleger, der kurz vor der Explosion von einer Videokamera gefilmt wurde. Doch eine heiße Spur haben die Ermittler nach wie vor nicht.

Zur Zeit versuchen sie fieberhaft, das Profil des Verdächtigen wie ein Puzzle zusammenzusetzen. Hoffnungen setzten sie dabei in eine technische Aufarbeitung des Videos, auf dem der zwischen 25 und 30 Jahre alte Verdächtige nur unscharf zu erkennen ist. Das Material sei dem Bundeskriminalamt übergeben worden. Auffällig ist Klinger zufolge, dass der Gesuchte Rennradschuhe trug, obwohl es sich bei seinem Fahrrad um ein normales Straßenrad handele. Möglicherweise habe der mutmaßliche Täter eine Brille getragen sowie einen Schnäuzer. Das sei aber nicht sicher, da das Gesicht auf den veröffentlichten Bildern schwer erkennbar sei. Ebenfalls weiter im Unklaren: das Motiv für seine Tat. „Erst wenn wir den Täter haben, kennen wir auch das Motiv“, so Klinger.

Zwei Stunden nach dem türkischen Botschafter versammeln sich wieder Menschen vor dem zerbombten Friseurgeschäft. Die Kölner Initiativen „Kein Mensch ist illegal“ und „Öffentlichkeit gegen Gewalt e.V.“ (ÖgG) haben zu einer Mahnwache am Tatort aufgerufen. Das ÖgG-Büro liegt in der Keupstraße. ÖgG beklagt, dass nur allzu schnell von einem „Bandenkrieg“, einem „Racheakt“ oder einem „Streit zwischen Türken und Kurden“ als Tatmotiv in der Öffentlichkeit die Rede gewesen sei –- ohne dass es dafür bis heute eine Grundlage für solche Vermutungen gäbe. „Damit werden die Bewohner der Keupstraße doppelt gepeinigt: Zuerst die Bombe, dann die Stigmatisierung des gesamten Viertels“, beklagt ÖgG.

Auch wenn bei vielen Bewohnern und Ladeninhabern der Keupstraße die Nerven noch blank liegen, sind Planungen für ein Mut machendes großes Straßenfest am 11. Juli bereits voll im Gange. „Wir wollen, dass hier wieder Leben reinkommt, wir sind Kölner und wir lieben unsere Stadt“, erklärt Sen Kemal, ein Anwohner. Etliche bekannte Musiker hätten bereits zugesagt.