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Mahmood Falaki über das Leben zwischen den Kulturen„Ich passte nicht mehr in die Welt rein“

Der Schriftsteller hat das Buch „Ich bin Ausländer und das ist auch gut so“ geschrieben. Nach 30 Jahren in Deutschland ist ihm aber auch seine alte Heimat Iran fremd geworden.

Muss mitunter starkes Gestikulieren über sich ergehen lassen: der Hamburger Schriftsteller Mahmood Falaki. Bild: Miguel Ferraz
Interview von Mai-Britt Wulf

taz: Herr Falaki, Ihr neuestes Buch heißt: „Ich bin Ausländer und das ist auch gut so“. Wie meinen Sie das?

Mahmood Falaki: Einerseits meine ich damit gegenseitige Befruchtung. Ausländer und Deutsche können voneinander lernen. Andererseits bin ich ein Literat im Exil. Aber auch aus einer schwierigen Situation kann man seinen Vorteil ziehen, wie ich aus meinem Exil.

Fühlen Sie sich nach 30 Jahren noch fremd in Deutschland?

Ich bin nicht gedanklich fremd. Ich denke wie viele Europäer und habe Gleichgesinnte hier. Ich fühle mich mehr als ein Europäer. Aber ich sehe anders aus und das merke ich manchmal daran, wie mich Menschen ansehen oder sich verhalten. Das hat mich früher sehr gestört, weil ich empfindlicher war. Als ich noch nicht gut Deutsch sprach und Menschen irgendwo lachten, dann fühlte ich mich oft ausgelacht. Obwohl ich nicht gemeint war. Ganz selten kommt die Empfindsamkeit noch zurück.

Wie fühlen Sie sich wahrgenommen in Deutschland?

Ab und zu merke ich, dass man nicht richtig von den Deutschen angenommen wird oder sie unterschätzen einen. Ich gehe seit 17 Jahren zu dem gleichen Arzt. Die Sprechstundenhilfe kennt mich seitdem. Aber immer, wenn sie mit mir spricht, gestikuliert sie ganz automatisch. Wenn ich anrufen soll, dann zeigt sie auf das Telefon. Sie will mich nicht beleidigen, aber die Gesten sind übertrieben. Sie denkt sich wohl, der Mann ist Ausländer und versteht mich nicht. Vielleicht hat sie ja Erfahrungen gemacht mit Menschen, die sie nicht verstanden haben und deswegen gestikuliert sie.

Mahmood Falaki

62, kommt aus einer Großgrundbesitzer-Familie aus Ramsar am Kaspischen Meer und studierte im Iran Chemie und Bibliothekswissenschaft. Während der Schah-Zeit wurde er wegen seiner politischen Aktivitäten zu drei Jahren Haft verurteilt, nach der Revolution 1979 veröffentlichte er seinen ersten Gedichtband.

1983 floh er vor dem zunehmenden Druck aus dem Iran nach Deutschland. Seit 1986 lebt er in Hamburg, wo er Germanistik und Iranistik studierte und über das Verhältnis von Goethe und dem persischen Dichter Hafis promovierte.

Als erstes Buch auf Deutsch erschien von ihm 1993 der Erzählband "Verirrt", es folgten Gedichte und Romane.

Machen Sie solche Erfahrungen öfter?

Auch andere Menschen reden manchmal wie mit einem Kind mit mir. Es ist so ein klischeehafter Gedanke zu denken, jeder Ausländer versteht kein Deutsch. So was bleibt zurück. In letzter Zeit erlebe ich viel Positives. Meine Tochter ist hier aufgewachsen und hat fast nur deutsche Freunde. Die junge Generation hat keine Probleme miteinander, weil sie miteinander aufgewachsen sind. Jetzt ist es ein bisschen multikultureller und bunter geworden. Die jungen Leute reden ganz normal mit mir.

Sie schreiben mal auf Deutsch, mal auf Persisch. Wie entscheiden Sie, in welcher Sprache Sie schreiben?

Ich habe schon lange nicht mehr auf Persisch geschrieben, aber vor zwei Wochen hatte ich auf einmal ein persisches Gedicht geschrieben. Da denke ich nicht drüber nach, warum ich in welcher Sprache schreibe. Die Themen, mit denen ich mich in letzter Zeit beschäftige, passieren in Hamburg und dann schreibe ich automatisch auf Deutsch. Auf Deutsch schreibe ich offener, direkter und realistischer. Manche deutschen Wörter wie zum Beispiel Wahrnehmung kann man nicht auf Persisch übersetzen.

Warum sind einige Ihrer Werke im Iran verboten?

Zum einen aus politischen Gründen, aber manche Werke sind zu erotisch. Meine Literaturkritiken sind erlaubt. Die werden sogar an der Uni benutzt. Mein Verleger hat mir gesagt, es ist unmöglich, mein Buch „Carolas Tod“ im Iran zu veröffentlichen, solange die Mullahs an der Macht sind. Sie haben was gegen erotische Literatur. Unter dem Schah gab es auch Zensur, aber es gibt einen Unterschied. Damals durften erotische Szenen bleiben, aber keine politischen oder ideologischen. Heute ist es ideologischer, das ist noch schwieriger. Körperteile darf man nicht beschreiben, Religion auch nicht.

Macht es Sie traurig, dass diese Werke verboten sind?

Es hat immer einen Vorteil, wenn ein Buch verboten ist. Das interessiert dann plötzlich viele Leute. Manche schmuggeln meine Bücher in den Iran. Als in einer Zeitung mein Buch als verboten auftauchte, war es schlagartig bekannt. Daraufhin wurde ich sofort interviewt.

Warum mussten Sie in der Schah-Zeit ins Gefängnis?

Ich war aktiv an studentischen Bewegungen beteiligt. Ich habe Flugblätter und politische Gedichte geschrieben und war im Untergrund aktiv. Wir haben versucht, die Bevölkerung wachzurütteln. Deswegen wurde ich mit 23 Jahren verhaftet und musste drei Jahre ins Gefängnis. Ich wurde einige Monate vor der Revolution entlassen. Die Situation war anders, locker. Das Regime hat zu der Zeit viele Gefangene entlassen, um in der Bevölkerung Sympathien zu gewinnen.

Wie haben Sie die Revolution erlebt?

Ich hatte große Hoffnung auf die Revolution und habe begeistert teilgenommen. Wir dachten, egal wer kommt, er wird besser sein als der Schah. Das war ein großer Fehler. Unter dem Schah gab es keine politische Freiheit, aber man hatte seine persönliche Freiheit. Nach der Revolution haben wir in den ersten Jahren Freiheit und Demokratie erlebt. Aber die Mullahs haben langsam die oppositionellen Kräfte verhaftet und hingerichtet. Die Parteien verboten. Und um mich herum wurden meine Genossen auch verhaftet. Ich wusste, ich bin auch bald dran.

Was haben Sie dann gemacht?

Wegen meiner politisch-literarischen Aktivitäten musste ich in den Untergrund abtauchen. Später bin ich dann mit meiner Frau geflohen, mit Schmugglern über die Türkei, zu Fuß und zu Pferd. Das war gefährlich. Man war nie sicher. Deswegen haben wir unsere kleine Tochter im Iran zurückgelassen. Meine Tochter blieb für zwei Jahre bei ihrer Großmutter und wurde uns dann nach Deutschland gebracht.

Warum sind Sie nach Deutschland geflohen?

Ich wollte eigentlich nach Frankreich. Ich habe die französische Literatur geliebt, kannte die Schriftsteller und die Kultur. Das war mein Lieblingsland. Als wir in der Türkei waren, haben die Schlepper uns gesagt, dass die einzige Möglichkeit, nach Europa zu gehen, durch die DDR sei. Wir wollten dann eigentlich weiter nach Frankreich, sind dann aber in Deutschland geblieben. Zum Glück! Ich war einige Male in Frankreich und bin froh, dass wir hier geblieben sind.

Wie war der Anfang in Deutschland?

Ich musste erst mal vieles verdauen. Das war aber kein Kulturschock. Wir haben im Iran Jahrhunderte lang für Demokratie und Freiheit gekämpft. Und plötzlich von heute auf morgen hatte ich alles. Theoretisch wusste ich, wie das funktioniert. Aber wenn man das erlebt, brauchte ich ein wenig, um moderne Demokratie besser zu verstehen. Im Iran war noch keine Demokratie möglich, die Menschen waren noch nicht soweit. Mann kann nicht auf Knopfdruck Demokratie schaffen.

Wann waren Sie zuletzt im Iran?

Als Khatami an der Macht war. Er versuchte, die Gesellschaft zu reformieren und wollte Iraner im Exil zurückgewinnen. Nur Mörder durften nicht zurückkommen. Sie haben mir persönlich garantiert, dass ich zurückkommen kann ohne Strafe. Da war ich nach 20 Jahren einmal im Iran. Seit Ahmadinedschad war ich nicht mehr da.

Wie war es, zurück zu sein?

Ich fühlte mich fremd, nicht nur, weil ich so lange nicht da gewesen war. Sondern auch, weil die Menschen mir so fremd waren. Ich passte nicht mehr in die Welt rein, weil sie und ich uns geändert hatten. Ich war enttäuscht, vielleicht weil das Bild, das ich von der Gesellschaft hatte, anders war. Im Laufe der Zeit malt man sich vieles aus. Die Menschen waren anders. Viele waren religiöser als vorher, aber nicht die Jugendlichen. Sie versuchten modern zu sein. Mich hat enttäuscht, wie meine Kollegen, die Schriftsteller, sich entwickelt haben. Wir sprechen zwar alle persisch, aber verstehen uns nicht. Nicht im kulturellen Bereich, sondern von den Gedanken her.

Ist Ihre Familie noch im Iran?

Meine Geschwister sind alle im Iran. Ich bin der Einzige, der hier ist. Es war schwieriger als ich jünger war, getrennt von meiner Familie zu sein. Aber in den letzten Jahren war es nicht mehr so wichtig. Wir telefonieren. Sie kamen mich hier besuchen.

Verfolgen Sie, was im Iran passiert?

Ja. Ich verfolge, was meine Kollegen machen, aber nicht so intensiv wie früher. Ich beschäftige mich mehr mit deutscher Literatur. Ich lese fast nur auf Deutsch. Mir ist wichtiger, was in Deutschland und Europa passiert.

■ „Ich bin Ausländer und das ist auch gut so“, Sujet Verlag Bremen, 156 S., 11,80 Euro

■ Lesung mit Mahmood Falaki: Fr, 28. 2., 19.30 Uhr, Kulturzentrum Lagerhaus, Bremen

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