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MadonnaSchlechte Mädchen, gute Märchen

Kommentar von Alexander Cammann

Das Schweizer Kulturmagazin "du" beschäftigt sich in der Mai-Ausgabe mit Madonna. Der Titel: "Mein Leben ist Ehrgeiz".

Immer wieder neu erfunden: Lady Madonna Bild: reuters

D as 1,60 Meter kleine Girl mit 35 Dollar in der Tasche kannte die Richtung, als es 1978 nach New York kam und den Taxifahrer vom Rücksitz aus dirigierte: "Bringen Sie mich ins Zentrum des Ganzen." Mittlerweile weiß man, dass es sich bei dieser Anekdote um eine hübsche, selbstproduzierte Geschichte handelt. Unzählige solcher Mythen ranken sich um das Leben der Madonna Louise Veronica Ciccone, die - man halte sich fest - im nächsten Jahr 50 Jahre alt wird. Seit vielen Jahren schon ist die Gestalt Madonna selbst zur Erzählung geworden; der Mythos Madonna gehört zu einem Gesamtkunstwerk, das wie kein anderes zum Ausdruck einer Epoche geworden ist. Ohne Madonna ist die westliche Kultur des ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts nicht vorstellbar. Deren globalisierte Dominanz ist verkörpert in einer Person; Madonna ist schon lange im Zentrum des Ganzen angekommen.

Nun fragt man sich zu Recht, was noch interessant sein kann am Symbol Madonna, das aus allen theoretischen Ecken heraus bereits tausendmal durchanalysiert wurde. Die Redaktion von du hat sich von solcher Skepsis nicht anstecken lassen und ihr Maiheft Leben und Werk von Madonna gewidmet, natürlich mit der einem Kultobjekt würdigen üppigen Bebilderung. Schlechte Mädchen und gute Märchen machen geschlechterübergreifend immer wieder Spaß: Das ist das simple Geheimnis der Madonnamanie. Wer einst bei Burger King für 1 Dollar und 50 Cent die Stunde schuftete und heute 325 Millionen Dollar (so Peter Haffner in seinem Beitrag) oder, man weiß es offenbar nicht genau, 450 Millionen Dollar (so Sonia Mikich in ihrem Text) sein Eigen nennen kann, wirkt dauerhaft fantasieanregend.

Jedoch wundert die Emphase, mit der "Monitor"-Moderatorin Mikich die Kapitalistin Madonna feiert ("meine Ikone des hedonistischen Feminismus, Postfeminismus und Neofeminismus", "frei und stark", "Gut, dass wir sie haben"). Mikichs "einverständliches Grinsen" freut sich über Madonnas "unbedingten Willen zur Macht" und, so viel Emanzipation muss sein, an klassischen Unterdrückungstechniken: "Wie ein Patriarch alter Schule kontrolliert sie die Köpfe und Körper ihres Teams, ihres Multimedia- Unternehmens, ihrer Konsumenten." Ach, Klaus Bednarz, wie hätten Sie in Ihrem ästhetisch unbestechlichen Pullover Madonna als fleischgewordene Neoliberalistin attackiert!

Das aktuelle "du"-Magazin Bild: du

Für Herrschaftszusammenhänge ist heutzutage eben die Popberichterstattung zuständig. Tobi Müller weiß nicht nur, dass man die Disco "keinesfalls auf ihren Spaßfaktor" reduzieren dürfe ("Die Disco ist immer auch eine Politik zwischen Schlafzimmer und Öffentlichkeit"). Er sieht in der Ideologie des Punk, die Madonna früh beeinflusste, den Kapitalismus heimlich am Werk: "Traue deiner Willenskraft, gründe Bands, übernimm Verantwortung und sei anders als die anderen." Man müsse nur "Bands" durch "Unternehmen" ersetzen, dann sei die Nähe zum Wirtschaftsliberalismus, zu den Claims globaler Marken deutlich.

Eine differenzierte Eloge singt hingegen die Literaturkritikerin Ursula März auf die Selfmadewoman. Sie parallelisiert in ihrem brillanten Text Lee Miller, Model, Muse Man Rays, große Fotografin und später Hausfrau und Köchin, mit Madonna und - Hillary Rodham Clinton, eine Frau, die ebenfalls zahllose Rollenwechsel hinter sich hat. Hillary und Madonna sind zwei Popschwestern, "Herrin ihrer Gefühle", deren feministisches Machtrezept "Lasst euch nicht definieren!" lautet. Das hat Whitney Houston nie vermocht und landete folgerichtig in Entziehungskliniken.

Die künstlerische wie persönliche Tragödie männlicher Popsuperstars wie Michael Jackson oder Robbie Williams wirkt allerdings noch dramatischer, zumal Madonna hinsichtlich zielstrebiger Karriere, Kraft, Körperpolitik und spielerisch-exzessiver Sexualität momentan eine würdige Nachfolgerin bekommt: Beyoncé. An die skeptische Schlussfrage von Ursula März, was aus der Künstlerin Madonna wird, wenn sich die Rollenmodelle des Selfmading verdünnen, denken wir lieber nicht, sondern lieber an jene Initiation, die uns das sich in einer venezianischen Gondel räkelnde Weib 1984 im "Like a Virgin"-Video verschaffte. Irgendetwas wird Madonna auch mit siebzig schon noch einfallen.

du, Nr. 776, Mai 2007: "Madonna. Mein Leben ist Ehrgeiz". 12 Euro

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