: Madame Cresson führt die Grande Nation
■ Mitterrand inszeniert blitzartigen Wechsel Premier Rocard tritt nach drei Jahren zurück
Paris (afp/taz) — Der französische Staatschef Mitterrand hat gestern einen fliegenden Wechsel an der Regierungsspitze organisiert: mittags reichte der sozialistische Premier Michel Rocard seinen Rücktritt ein — wenige Minuten später stellte Mitterrand mit der früheren Europaministerin Edith Cresson (57) erstmals eine Frau an die Spitze der französischen Regierung. Das vollständige neue Kabinett soll heute vorgestellt werden.
Es wurde erwartet, daß Mitterrand den 1988 mit der Ernennung mehrerer liberaler Minister betretenen Weg fortsetzen wird, die Basis des sozialistischen Minderheitskabinetts zur Mitte hin zu erweitern. Edith Cresson war im Oktober 1990 aus der Regierung ausgeschieden und hatte die Leitung einer Tochterfirma des französischen Elektro- und Maschinenbaukonzerns Schneider SA übernommen. Als Europaministerin hatte sie 1989 die französischen Projekte für eine Wirtschafts- und Währungsunion auf den Weg gebracht und für den staatlichen Schutz „strategischer“ Branchen wie der Auto- und Elektronikindustrie gegen die japanische Konkurrenz gekämpft. Wegen ihres energischen Vorgehens wurde sie dabei zuweilen mit der früheren britischen Premierministerin Margaret Thatcher verglichen.
Die Kommunisten boten Mitterrand gestern an, ihm zu einer „stabilen Mehrheit“ zu verhelfen, wenn er „rechte Minister“ entlassen und zu einer „linken Politik“ zurückfinden würde. Dagegen werteten die rechtsliberalen Republikaner Cressons Ernennung als Schaffung eines „linken Kampfkabinetts“ und „Ende des sozialliberalen Laufstegs“. Cressons Vorgänger Rocard kann sich jetzt unbeschwert von den Niederungen der Tagespolitik auf eine Kandidatur für die Nachfolge Mitterrands vorbereiten. SEITE 8
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