MYTHOS EINS: JOHANNES PAUL II. WAR DER PAPST DER JUGEND : Begrenzt begeisterungsfähig
Die Jugend und Johannes Paul II. – von dieser besonderen Beziehung ist derzeit in fast allen Nachrufen die Rede: Der Papst habe die Jugend erreicht, als moralische Autorität habe sie ihn anerkannt. Und war es nicht anrührend, wie er damals beim Weltjugendtag in Toronto vor Hunderttausenden, schon gänzlich gekrümmt, es doch noch schaffte, ein wenig mitzuklatschen?
Nun hat dieser Mythos einen wahren Kern: Karol Wojtyła hatte Charme und konnte gut mit Menschen umgehen – aber das betraf alle, gleich welchen Alters. Und nur die Tatsache, dass dieses Charisma und diese Menschlichkeit bei jungen Menschen eben auch ihre Wirkung tat, spricht nicht dafür, dass er bei ihnen besonders wirkte. Auf den von Johannes Paul II. begründeten, wie Woodstock inszenierten Weltjugendtag wurde er gefeiert wie ein Popstar. Aber Mädels weinen auch bei jeder zweiten Boygroup.
Es war eben bei diesen Weltjugendtag, deren Bilder wir derzeit permanent in Rückblicken sehen, die typische Atmosphäre eines Kirchen- oder Katholikentags, bei denen etwa die Hälfte der Besucherinnen und Besucher aus bewegten und kuschelnden Jugendlichen besteht. Daran ist nichts Schlechtes. Es relativiert nur die angeblich überbordende Wirkung des Papstes gehörig. Denn hätte der Papst die jungen Menschen für die Sache des Glaubens wirklich so bewegt, wären derzeit in Mitteleuropa – mit Ausnahme des Sonderfalls Polen – die Kirchen nicht leer oder nur von alten Menschen besucht. Auch der Nachwuchs bei den Orden, von denen immer mehr einfach wegsterben, und bei den „Weltpriestern“ schwindet: Bald werden im deutschsprachigen Raum fast zwei Drittel der Pfarreien ohne Priester sein. Die Zahl der Neupriester in Deutschland lag noch 1990 bei 366, im Jahr 2003 waren es gerade mal 161. Durchschnittsalter der aktiven Priester: über 60 Jahre.
Und das liegt nicht nur an der freudlosen deutschen Kirche. Johannes Paul II selbst zeigte sich besorgt über den Priestermangel weltweit: Während die Gesamtzahl der Priester in Europa seit 1964 von rund 250.000 auf 206.000 sank und in Nordamerika von 72.00 auf 58.000 zurückging, stieg sie nur in Asien und in Afrika nennenswert – vor allem dank der Demografie.
Die Amtskirche betonte und inszenierte immer wieder den Mythos „Papst und Jugend“ – beim genaueren Hinsehen zerfällt er schnell. Und wer es nicht glaubt, frage beim Weltjugendtag im August in Köln ein paar von den hunderttausend Jugendlichen, was sie von den Vorgaben des Papstes in Sachen Sexualethik oder Zölibat halten. Die Wirkung des Papstes auf die Jugend war doch sehr begrenzt.
PHILIPP GESSLER