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Archiv-Artikel

MONTENEGRO WIRD UNABHÄNGIG: ENDE DES GROSSSERBISCHEN PROJEKTS Jetzt beginnt das Krötenschlucken

Montenegro ist von nun an ein unabhängiger Staat. Die Bevölkerungsmehrheit hat sich für die Unabhängigkeit des Landes entschieden. Damit hat es als letzte der ehemals sechs jugoslawischen Republiken Serbien den Rücken gekehrt. Der 21. Mai 2006 wird als Datum in die Geschichtsbücher eingehen. Die Abstimmung hat bei allen Nachbarn, den Kroaten, Bosniern und natürlich den Kosovo-Albanern, Erleichterung ausgelöst. Der großserbische Traum ist endgültig ausgeträumt und stellt für sie keine Bedrohung mehr dar.

In beiden Ländern geht es jetzt um das Eingemachte. In Montenegro sind die Erwartungen hoch gesteckt. Das Reformtempo muss sich erhöhen, Premier Djukanović und seine Koalition müssen beweisen, was sie können. Ausreden, Rücksichtnahmen auf Serbien behinderten den Fortschritt Montenegros – sie gelten ab sofort nicht mehr. Aber auch die Überreste totalitärer Herrschaft, der sich Djukanović bis zuletzt bediente, müssen beseitigt werden. Nur mit einer tiefer greifenden Demokratisierung kann das Land vorwärts kommen – und diejenigen von der Unabhängigkeit überzeugen, die jetzt noch mit Nein gestimmt haben.

Jetzt wird sich aber auch der serbischen Gesellschaft ernsthaft die Frage stellen, wohin sie will. Der Weg nach Europa verlangt, sich ideologisch und wirtschaftlich zu erneuern. Das wird nicht ohne tief greifende innenpolitische Konflikte abgehen, zumal Kriegsverbrecher wie Ratko Mladić immer noch nicht gefasst und der Status des Kosovos nicht gelöst sind. Aber letztendlich könnten die demokratischen Kräfte Nutzen aus der „Niederlage“ in Montenegro ziehen. Denn die Nationalisten werden bald, nach der Abtrennung des Kosovos, endgültig mit leeren Händen dastehen.

Keine Frage: Beide Staaten werden auch in Zukunft eng verbunden sein. Die EU aber muss jetzt schnell die diplomatische Anerkennung aussprechen, um nicht etwaige Aktionen radikaler Kräfte zu ermutigen. Die „Koalition der Willigen“ in Montenegro aber wird, und da kann sich Brüssel sicher sein, alle Kröten schlucken müssen, die die EU ihr serviert. Und das ist gut so. ERICH RATHFELDER