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■ MOMENT MAL!Wollt ihr den totalen Krieg gegen den Planeten

Vorigen Freitag hatte ich einen merkwürdigen Traum: Ich befand mich mit vielen Leuten in einer Art Saal, es könnte auch auch ein großes Kino gewesen sein, in dem ein Redner eine dramatische Rede hielt. Ob sie tatsächlich gehalten oder auf einer Leinwand gezeigt wurde, kann ich nicht erinnern, auch nicht den ungefähren Inhalt dieser Rede und das Publikum oder das Aussehen des Redners. Nur daß der Saal der Darbietung mit großer Spannung folgte, daß ein Knistern in der Luft lag, tauchte am nächsten Morgen aus der Erinnerung auf. Und ein einziger Satz. „Wollt ihr den totalen Krieg gegen den Planeten?“ fragte der Redner, und die Spannung im Saal entlud sich in Begeisterung. Die Leute riefen „Ja, ja!“, jubelten, klopften sich auf die Schulter, schüttelten Hände. An mehr kann ich mich nicht erinnern, weder an das, was vorher noch was nachher geschah, und auch nicht, inwieweit ich selbst in diesen Beifall einstimmte.

Daß dieser Traumfetzen überhaupt ins Bewußtsein geriet, verdankt sich wahrscheinlich nur der Zeitung, die ich am nächsten Morgen beim Frühstück las: „Umweltschutz vorerst nicht Staatsziel“ stand da auf der Titelseite der 'FAZ‘, und ein Kommentar fragte rhetorisch: „Umweltschutz über alles?“. Da fiel mir, auf der Eselsbrücke „Deutschland über alles“, die Traumszene ein und der eher harmlose Regierungs-Propaganda-Text las sich plötzlich gespenstisch: „Die ,natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen‘ sollen unter den Schutz des Staates gestellt werden; der Plan erfreut sich offenbar offenbar allgemeiner Zustimmung... Die Koalition verlangt einen Gesetzesvorbehalt, also das Tätigwerden des Gesetzgebers, der das vage Staatsziel konkretisieren soll. Rechtsstaatlich betrachtet ist es allemal ordentlicher und klüger, ein Staatsziel mit Gesetzen auszufüllen, statt es beliebiger Interpretation zu überlassen. Wer im Umweltschutz auch ein Problem der Güterabwägung sieht, muß dem Richter feste Maßstäbe an die Hand geben. Wer hingegen für ,Umweltschutz über alles‘ eintritt, der ist ohne Gesetzesvorbehalt besser bedient. Genau dieses Ziel scheint die SPD zu verfolgen. Ergebnis: es geschieht gar nichts.“

Das heißt, es geschieht genau das, was ich geträumt habe: wir führen den totalen Krieg gegen den Planeten weiter. Und nur weil niemand die Frage, ob wir diesen Krieg wollen, so zugespitzt stellt, nur deshalb antworten wir nicht mit begeistertem Jubel, sondern diskutierten dezent „das Problem der Güterabwägung“. Also die Frage, inwieweit sich die Front-Verluste an Menschen- und Naturmaterial reduzieren lassen, ohne das Wachstum der Beute zu gefährden. Und wer diese Diskussion ablehnt, muß sich nicht wundern, wenn weiter bis zum letzten Mann wild aus allen (Auspuff-)Rohren gefeuert wird.

Auf diesem Hintergrund wird mir die Antwort, ob ich dort im Saale mitgejubelt habe oder nicht, immer wichtiger. Daß ich hier, in der Wirklichkeit, als bleifrei tankender Bundesrepublikaner trotz Pfand-Milchflasche und Papier- Container zur Elitetruppe der Zerstörung gehöre, ist klar — doch wie ich im Traum auf dieses Faktum reagierte, will sich trotz hartnäckiger Recherche nicht erhellen. Statt dessen fällt mir ein wunderbarer Witz ein, den der Kabarettist Dieter Thomas erzählt hat: Ein Junge entdeckt auf dem Speicher ein altes Foto, das seinen Großvater bei einer Goebbels-Rede zeigt. „Opa, Du hast doch immer erzählt, daß Du mit den Nazis nichts zu tun hattest. Aber hier, das bist doch Du, in der allerersten Reihe, in Uniform und den Arm zum Hitler-Gruß gestreckt.“ — „Ja, ja“, meint der Großvater und streckt seinen Arm schräg nach vorn, „aber ich habe gesagt: Moment mal!“

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