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Archiv-Artikel

MODERNES LESEN: NEUE BÜCHER KURZ BESPROCHEN VON DIRK KNIPPHALS Luxus Lyrik

Andreas Thalmayr, das ist inzwischen offiziell, ist ein Pseudonym Hans Magnus Enzensbergers: sozusagen seine Trademark für popularisierende Lyrikvermittlung. Unter diesem Namen hat der stets geschmeidige Intellektuelle – diese Bezeichnung ist unbedingt positiv gemeint! – vor bald zwei Jahrzehnten ein Lyrik-Lesebuch vorgelegt: „Das Wasserzeichen der Poesie“. Unter dem prosaischeren Titel „Lyrik nervt“ hat er nun eine Einführung folgen lassen, die sich zwar ausdrücklich an Jugendliche wendet, aber auch von Erwachsenen goutiert werden kann. Der Titel täuscht. Hinterher weiß man alles, was man nach seriösem Verständnis über Lyrik wissen muss: Versmaß, Reimschema, Gedichtformen usw. Man hat beim Lernen vor allem aber auch viel gelacht. Und über die paar Stellen, in denen es Enzensberger mit der Anbiederung an die Jugendsprache zu weit treibt (Benns „Kleine Aster“ soll etwa ein „krasses“ Thema haben), liest man hinweg.

Berückend ist vor allem das Vertrauen, das Enzensberger oder vielleicht doch lieber Thalmayr in die Kraft der Lyrik hat. Lyrik – eine bedrohte Gattung? Keine Spur. „Es gibt überhaupt kein Gehirn in der Welt, in der es nicht von Gedichten wimmelt“, heißt es an einer Stelle mit dem Verweis auf Kinderverse, Songtexte und Werbesprüche. Lyrik, das ist für Thalmayr die Sprache, in der „die Wörter und die Sätze zu tanzen anfangen“. Die Grundidee ist, dass das Spiel mit Wörtern einem Grundbedürfnis jedes Menschen entspricht und sich der Spaß daran schon einstellen wird, sobald man die Sache ohne die Verbildungen des Deutschunterrichts angeht.

Ein hübscher Nebeneffekt der Lektüre: Man begegnet vielen Gedichten – von Heinrich Heine über Rilke, Brecht, Morgenstern bis Robert Gernhardt und (den in dem Buch sehr geschätzten) Peter Rühmkorf. Alle Erläuterungen werden an konkreten Beispielen gegeben. Im letzten Kapitel gibt Thalmayr sogar noch Tipps dazu, wie man selbst Gedichte schreiben kann. Die Erwartungshaltungen an den Erfolg der eigenen Produktion dämpft er dabei jedoch deutlich: „Muss man denn alles veröffentlichen? Nöö. Die Lyrik ist das einzige Massenmedium, bei dem es mehr Produzenten als Konsumenten gibt. Das finden viele Dichter sehr betrüblich, ebenso wie die Tatsache, dass mit Gedichten kaum Geld zu verdienen ist. Aber vielleicht ist gerade das das Schöne an der Lyrik, dass sie unrentabel ist. Ein Luxus sondergleichen!“