MKS SCHLÄGT BSE: DIE ÖFFENTLICHKEIT IST VERGESSLICH: Katastrophale Selbstberuhigung
Die täglichen Meldungen über die drohende Maul-und Klauenseuche sind beruhigend. Nicht gerade für die Bauern und Viehhändler, aber doch für fast alle anderen. Die Krankheit kann zwar wirtschaftliche Schäden anrichten, den Menschen aber nicht gefährlich werden, und sogar die meisten befallenen Tiere würden überleben – wenn sie denn dürften. Also gibt es eigentlich keinen Anlass zur Panik.
Dennoch vergeht kaum ein Tag ohne dramatische Nachrichten: Verdachtsfall, Entwarnung, Desinfektionsmaßnahmen, Streit über Massenschlachtungen, Streit über Impfverbote. Schulen schließen, Konfirmationsfeiern werden verschoben. Wenn schon diese Seuche so viel Aufregung verursacht, dann können doch insgesamt die Gefahren, die in unserer Nahrung lauern, so bedrohlich eigentlich nicht sein. Wie hieß die andere Krankheit noch gleich? Ach ja. BSE.
In der letzten Woche haben das „Gesundheitsmagazin Praxis“ und Ökotest darüber berichtet, dass die BSE-Testmethoden nach wie vor unzureichend sind. Für Schlagzeilen hat diese Meldung nicht gesorgt. Schließlich wird inzwischen ein anderes Rind durchs Dorf getrieben. Zeitbomben liefern keine guten Bilder. Bis zur Explosion ticken sie halt so vor sich hin. Und wenn es sich nicht um eine reale Bombe handelt, sondern um eine schleichende Katastrophe, dann sorgt sie kaum noch für Entsetzen, wenn ihr ganzes Ausmaß sichtbar wird.
Die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl hat viele tausend Menschenleben gefordert, ganze Landstriche sind auf viele tausend Jahre hin verseucht. Aber wir wurden mit den langfristigen Folgen des Unfalls nicht von einem Tag auf den anderen konfrontiert, sondern wir hatten Zeit, uns an den Gedanken zu gewöhnen. Und somit auch die Zeit, die Realität mit unseren Überzeugungen in Einklang zu bringen. Deshalb haben sich die Fronten im Streit um die zivile Nutzung der Kernenergie durch Tschernobyl nicht verschoben.
Netterweise gewährt uns – und US-Präsident Bush – auch das Ozonloch jene Atempause. Ebenso wie BSE. Wenn Teile der Welt infolge des Ozonlochs unbewohnbar werden und in zwanzig Jahren jene unserer Kinder sterben, für die heute ein Hamburger höchstes Glück bedeutet, dann werden wir uns auch an diesen Gedanken gewöhnt haben. Für die politischen Akteure von heute ist das erfreulich. Schließlich tun auch sie sich leichter damit, über die Maul- und Klauenseuche zu reden als über BSE. Mit der einen Krankheit können sie umgehen. Mit der anderen nicht. BETTINA GAUS
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