MITARBEITERBETEILIGUNG SCHAFFT NOCH KEINE SOZIALE GERECHTIGKEIT : Preiswerte Politkosmetik
Ein Steuergeschenk! Das klingt doch immer gut. Diesmal werden die Arbeitnehmer bedacht: Wer sich als Mitarbeiter an seinem Betrieb beteiligt, der wird demnächst mit einem höheren Freibetrag bei Steuern und Sozialabgaben belohnt. Durch diesen staatlichen Anreiz soll sich endlich der „Investivlohn“ verbreiten, der schon seit Jahrzehnten diskutiert, aber bisher kaum praktiziert wird.
Doch das kleine staatliche Geschenk, es ist gar keines. Tatsächlich wird das Geld nur von der linken in die rechte Tasche der Beschäftigten geschaufelt. Wer trägt denn die Hauptlast an Steuern und Sozialabgaben in Deutschland? Genau: die Arbeitnehmer. Sollten sie ernsthaft entlastet werden, müsste ja das Geld aus anderen Quellen fließen. Aus einer erhöhten Unternehmensteuer beispielsweise. Doch davon ist nicht die Rede. Also haben sich die Regierungsparteien darauf verständigt, dass die Reform fast nichts kosten darf. Der neue „Investivlohn“ ist nur Politkosmetik.
Dennoch ist das Projekt Investivlohn insofern interessant, als es von einem späten Lernfortschritt kündet: Offenbar haben die beiden Volksparteien Union und SPD begriffen, dass es in ihrem Volk gärt. Seit Jahren sinken die Reallöhne, während die Gewinne explodieren. Das erzeugt Unmut, und darauf haben die Volksparteien nun mit ihrer Symbolpolitik namens Investivlohn reagiert. Wenn die Arbeitnehmer zu Unternehmern werden, so die Hoffnung, dann erledigt sich das Verteilungsproblem von selbst, weil ja nun auch die Lohnempfänger an den Profiten beteiligt sind.
Ein schöner Traum. Aber in der Realität besitzen knapp 2 Prozent der Bevölkerung 70 Prozent des Produktivvermögens. Das kann kein Investivlohn korrigieren. Vielleicht machen künftig einige weitere Arbeitnehmer einen minimalen Profit – die Profiteure bleiben ihre Chefs. Die Volksparteien werden es weiter mit einem Volk zu tun haben, das in allen Umfragen das Soziale an der Marktwirtschaft vermisst. Ideen wie der Investivlohn werden nicht mehr lange kaschieren können, dass nur ein Ausweg bleibt: die Kapital- und Spitzeneinkommen höher zu besteuern. ULRIKE HERRMANN