MIT ZUCKERROHRERNTEN AUF DU UND DU: Kubas größtes Geheimnis
■ Gerüchte über schlechten Ertrag soll Preis hochtreiben
Havanna (afp/taz) — Die Zuckerrohrernte, sonst immer ein Presseereignis, ist in dieser Saison eines der bestgehüteten Geheimnisse der kubanischen Wirtschaft. Kein Wort über die möglichen „zafra“- Erträge für 1992 dringt nach außen, die entscheidend für den Karibikstaat und den internationalen Zuckerrohrmarkt sind. Normalerweise widmen sich die Zeitungen bereits zu Beginn der „zafra“, dem Thema, und drucken fast täglich Reportagen über den Fortgang des Schnittes und den Stand der Zuckerraffinerie. Stattdessen wird heuer über den Lebensmittelplan berichtet, der die Versorgung der Bevölkerung sicherstellen soll.
Zucker ist der wichtigste Rohstoff Kubas. Der Austausch von vier Millionen Tonnen Zucker gegen 13 Millionen Tonnen sowjetisches Rohöl zu garantierten Preisen war die Grundlage der kubanischen Wirtschaft. Seit dem Zerfall der UdSSR muß Kuba nun seinen Zucker zu Weltmarktpreisen verkaufen und seinen Markt umstrukturieren. Nach Schätzungen von Experten in Havanna wird sich die Zuckerrohrernte 1992 auf 6 bis 6,5 Millionen Tonnen belaufen. Einige Fachleute interpretieren das Schweigen und die Gerüchte über eine schlechte Ernte als Zeichen, daß Kuba die Preise auf dem Weltmarkt hochtreiben will, um an Devisen zu kommen. Das KP-Politbüromitglied Carlos Lavo hatte erklärt. die Ernte werde nicht auf die erwarteten 7,5 Millionen Tonnen kommen. Im vergangenen Jahr hatte der Ertrag bei 7,623 Millionen Tonnen gelegen. Nach Angaben von Diplomaten wurden bisher 500.000 Tonnen zum Weltmarktpreis von acht Cent pro Pfund von Rußland gekauft. Auch das französische Handelshaus „Sucres et Denrees“ habe bereits Zucker bezogen. Der kubanische Außenhandelsminister Ricardo Cabrisas ist inzwischen zum ständigen Handelsreisenden geworden. Seit drei Monaten reist er in der Welt herum, um die Ernte loszuschlagen. Zwar wurden Übereinkünfte und Verträge angekündigt, doch über den Inhalt wird wie bei der „zafra“ Schweigen bewahrt. Die Ernte selbst läuft unter erschwerten Bedingungen, die für alle Bereiche der kubanischen Wirtschaft gelten: Es fehlt an Treibstoff, Ersatzteilen und Ausrüstung — alles Produkte, die aus dem Ostblock bezogen wurden.
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