MIT DER SELBSTSTÄNDIGKEIT AUF DU UND DU: Die Chefinnen kommen
■ Jede dritte Firma wird von einer Frau angemeldet
Berlin (taz) — Ein Zimmer für sich allein genügt vielen Frauen nicht mehr: Die eigene Firma muß es sein, selbst wenn es nur ein Klein- oder Kleinstbetrieb ist. Mittlerweile wird im Westteil Deutschlands jedes dritte Unternehmen von Frauen gegründet. 1975 war es nur jeder zehnte Betrieb in der BRD (einschließlich West-Berlin). Im Gebiet der ehemaligen DDR machen sich bislang noch vor allem Männer selbständig. Nur 2,1 Prozent der zinsgünstigen Darlehen aus dem ERP-Kreditfond gingen bisher an weibliche Existenzgründer (in Westdeutschland dagegen 20,9 Prozent).
Es ist aber zu erwarten, daß in nächster Zeit mehr Gründerinnen in der Ex-DDR dazukommen, weil dort viele qualifizierte Frauen von Arbeitslosigleit bedroht sind. Auch generelle Unzufriedenheit mit dem traditionellen Arbeitsmarkt bewegt Frauen dazu, sich selbständig zu machen: Sie wollen aussteigen oder wiedereinsteigen und ihre Qualifikationen und Ideen am selbstgeschaffenen und selbstbestimmteren Arbeitsplatz verwirklichen. Vor Illusionen muß aber gewarnt werden, denn der eigene Betrieb schützt nicht vor „marktgängigen Benachteiligungen“, weiß Fachfrau Gerda Lischke vom Berliner Weiterbildungssprojekt „Gründungsrausch“. Das belegen die Frauenbetriebe der feministischen Szene, in denen Selbstausbeutung und miese Stundenlöhne dem politischen Anspruch auf selbstbestimmtere Freiräume und größere Solidarität oft genug entgegenstehen.
Die Hauptmotive für die Gründerinnen der letzten Jahre sind allerdings pragmatischer: Es geht vor allem um die Sicherung des Lebensunterhalts. Doch auch unter den vollzeiterwerbstätigen Selbständigen stehen Frauen finanziell schlechter da als Männer: Fast 20 Prozent der selbständigen Frauen verdienen weniger als 1.000 D- Mark netto im Monat, während nur 4,6 Prozent der männlichen Selbständigen in diese Einkommensschicht fallen. Mehr als 4.000 D-Mark können ein Drittel der Männer aus der eigenen Firma herausholen, aber nur 13 Prozent der Frauen. Die meisten Frauen haben nicht nur weniger Geld als Männer, sie haben auch ein anderes Verhältnis dazu: Sie setzen ihr Geld vorsichtiger ein. Vor Schulden graut es vielen, bemerkt Gerda Lischke und stellt fest, daß die „geringe Kreditaufnahme einen erhöhten Arbeitsaufwand und geringere Erträge zur Folge hat“.
Wenn Frauen sich selbständig machen, dann meist mit einem Ein- Frau-Betrieb im Dienstleistungsbereich. Von den 576.000 selbständigen Frauen (Stand Mai 1988) arbeiten mehr als die Hälfte in diesem Sektor. Dies entspricht in etwa auch dem Frauenanteil unter den abhängig Beschäftigten. Im produzierenden Gewerbe sind weit weniger Frauen selbständig tätig. Das Hairstudio, der Kiosk oder der Frauenbuchladen passen also eher ins Bild der Gründerin als die Tischlerei oder die Knopffabrik. Annette Nüsslein
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