MIT DER KLASSENGESELLSCHAFT AUF DU UND DU: Superreiche und Bettelarme
■ Brasilien ist Champion der Einkommenskonzentration
Rio de Janeiro (taz) — Brasilien ist das Land mit der weltweit krassesten Einkommenskonzentration. Während die Hälfte der 150 Millionen Brasilianer 11,2 Prozent des nationalen Vermögens besitzt, kontrolliert die hauchdünne einprozentige Oberschicht 14,6 Prozent des Vermögens. Diese Zahlen nennt der UNO-Bericht zur Entwicklung der Menschheit für 1992. Doch damit nicht genug: Der Graben zwischen Arm und Reich wird sich in den 90er Jahren weiterhin vertiefen. „Wenn Brasilien seine Wirtschaftskrise nicht überwindet, werden sich die sozialen Gegensätze dramatisch steigern“, prophezeit Wirtschaftswissenschaftlerin Eliane Cardoso. Die Brasilianerin, die zur Zeit an der Tufts University in Boston lehrt, belegt, daß insbesondere die brasilianische Mittelschicht von der Mischung aus anhaltender Inflation und Rezession geschwächt wird. Zwar liegt das brasilianische Pro-Kopf- Einkommen mit jährlich 2.680 US- Dollar über den Vergleichswerten seiner lateinamerikanischen Nachbarn. Die sozialen Indikatoren sprechen jedoch eine andere Sprache: Die Kindersterblichkeit in Brasilien ist dreimal höher als in Chile, der Analphabetismus überflügelt Argentinien um das Vierfache, und die Lebenserwartung eines Brasilianers liegt sechs Jahre unter der eines Mexikaners.
Der Gini-Koeffizient, ein Index zwischen null und eins, mit dem die Einkommensverteilung gemessen wird, läßt ebenfalls keine Zweifel an der sozialen Ungerechtigkeit aufkommen: Brasilien ist mit 0,63 Prozent Spitzenreiter in der Tabelle. 1982 lag der Index noch bei 0,58 Prozent. Doch zehn Jahre Inflation, gepaart mit Wirtschaftsschocks und Rezessionspolitik, haben die Mittelklasse Brasiliens ausgedünnt. Nachbarland Peru folgt mit 0,55 Prozent an zweiter Stelle, die Vereinigten Staaten rühmen sich eines Gini-Wertes von 0,3 Prozent. Das sozialistische Kuba kommt mit 0,2 Prozent dem Paradies der irdischen Gerechtigkeit am nächsten.
„Tatsache ist, daß die Reichen von Brasilien heute zu den Reichsten der Welt zählen, während die Armut afrikanische Ausmaße annimmt“, sagt Eliane Cardoso, die auf dem internationalen Seminar „Arbeitsmarkt, Armut und soziale Ungleichheit in Brasilien“ in der vergangenen Woche in Rio einen Vortrag hielt. Eine kürzlich veröffentlichte Umfrage des US-Wirtschaftsmagazins Forbes gibt ihr Recht: Unter den zehn reichsten Männern der Welt befinden sich drei Brasilianer.
Mit wirtschaftlichem Wachstum allein, da waren sich die Teilnehmer des vom Institut für angewandte Wirtschaftsforschung (IPEA) organisierten Seminars einig, könne der Graben zwischen Arm und Reich nicht zugeschüttet werden. Die ungerechte Einkommensverteilung in der achtgrößten Industrienation der Welt sei vielmehr Resultat der Regierungspolitik, die weder das Lohndumping durch die Massenarbeitslosigkeit in den Griff bekommt, noch bereit ist, mehr Geld in den Sozialbereich zu investieren. Astrid Prange
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