MIT DER DEPRESSION AUF DU UND DU: Nordisches Arbeitslosenheer
■ Skandinavien mit Rekordzahlen seit den 30er Jahren
Kopenhagen (taz) — Die Arbeitslosenrate in Dänemark hat eine neue Rekordhöhe erreicht: Elf Prozent lautet die gerade veröffentlichte Zahl für den November 1991. Die entsprechenden Zahlen für den Dezember versprechen sogar noch höher zu werden. Das Land hat damit nach einem stetigen Anstieg der Arbeitslosigkeit seit Ende 1990 die höchste Arbeitslosenrate seit der Weltwirtschaftskrise in den dreißiger Jahren.
Ein wesentlicher Grund für den ungebrochenen Anstieg der letzten Monate ist die Weigerung der Regierung, für mehr Arbeitslose Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zu finanzieren. Vom „Rat der Weisen“, den Konjunktur-Beratern der Regierung, werden noch radikalere Maßnahmen gegen die grassierende Arbeitslosigkeit vorgeschlagen: Die Erwerbslosen sollen zwangsweise in unter dem Tarif bezahlte Arbeiten vermittelt werden.
Da die konservative Regierung aber hierfür keine Mehrheit findet und auch die Opposition mit ihren teuren Arbeitsmarktmaßnahmen nicht durchkommt, beschränkt sich der politische Streit derzeit auf die Frage, wie Arbeitslosigkeit zu definieren sei. Während die offizielle Statistik 300.000 Arbeitslose aufweist, definiert Wirtschaftsminister Rasmussen diese Zahl auf 70.000 herunter; der sozialdemokratische Oppositionsführer Auken rechnet sie auf 800.000 hoch.
Die dänische Arbeitslosigkeit ist im wesentlichen hausgemacht. Es gab nur geringe negative Einflüsse der allgemeinen weltweiten Konjunkturflaute, denn die Exportindustrie läuft noch mit am besten. Negativ ausbezahlt hat sich dagegen, daß die Lohn- und damit auch die Konsumtionsrate stark nach unten gedrückt wurde. Der vielgepriesene Erfolg einer auf drei Prozent gesunkenen Inflationsrate ging jedoch auf Kosten des Arbeitsmarkts. Internationale Wirtschaftsanalytiker indes rühmen diese investitions- und profitfreundliche Wirtschaftspolitik und bezeichnen Dänemark, so kürzlich das 'Wall Street Journal‘, als „einzigen Lichtblick am ansonsten trüben nordischen Himmel“. Die hohe Arbeitslosigkeit ist für sie kein Grund für eine Eintrübung.
In Dänemark selbst ist angesichts eines ständig relativ hohen Arbeitslosenniveaus die Toleranzschwelle allerdings wesentlich höher als im restlichen Nordeuropa. In Finnland beispielsweise haben die um einige Prozentpunkte niedriger liegenden Zahlen im Herbst zu der seit Jahrzehnten größten Demonstrationen gegen Arbeitslosigkeit und verfehlte Wirtschaftspolitik geführt. Die letzten finnischen Arbeitslosenzahlen liegen mittlerweile ebenfalls bei zehn Prozent mit saisonal steigender Tendenz. Mit vier beziehungsweise acht Prozent — bei einer hohen Dunkelziffer wegen der umfangreichen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen — ist die Arbeitslosigkeit in Schweden und Norwegen noch vergleichsweise niedrig. Doch der Schein trügt: Dahinter steckt ein stetiger und offenbar ungebrochener Anstieg. Innerhalb eines Jahres hat sich dort das Arbeitslosenheer verdoppelt und ebenfalls zu Nachkriegsrekorden geführt. Reinhard Wolff
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