MIT DER BILLIGQUALITÄT AUF DU UND DU: Textilindustrie ohne Markt
■ Im Osten verschwinden über 400.000 Arbeitsplätze
Berlin (taz) — Um 7.000 von 10.300 Arbeitsplätzen zu retten, gingen im März die (meist männlichen) Werftarbeiter Mecklenburg- Vorpommerns auf die Barrikaden. Einen halbe Milliarde Mark an Steuergeldern war Treuhandanstalt und Bundesregierung schließlich jeder Schiffbauarbeitsplatz wert. Um die Industriestruktur um die Magdeburger Maschinenbaufirma Sket (5.000 Arbeitsplätze) zu erhalten, ist die Treuhand bereit, die Ideologie der schnellen Privatisierung hintanzustellen und eine Staatsholding als Zwischenschritt ernsthaft in Erwägung zu ziehen.
Still, leise und bescheiden ist derweil die sächsische und thüringische Textil- und Bekleidungsindustrie bereits eingegangen. Von 460.000 (überwiegend Frauen-) Arbeitsplätzen werden nur etwa 40.000 übrigbleiben — weniger als zehn Prozent. Anders als beispielsweise für Eisenbahnwaggons gibt es für den Kleidungsexport in die GUS-Staaten keine Hermesbürgschaften mehr.
Als der Ostmarkt mit der Währungsunion vor zwei Jahren wegbrach, hatte die auf Massenproduktion ausgerichtete Textil- und Bekleidungsbranche keinen Absatzmarkt mehr. Den Umstrukturierungsprozeß von Masse zu Klasse, für den die westdeutsche Textilbranche 25 Jahre Zeit hatte, mußten die Ostbetriebe in zwei Jahren hinter sich bringen. Westliche Kaufinteressenten gab es so gut wie nicht, 800 der 1.000 westdeutschen Textilfirmen produzieren bereits in Billiglohnländern wie den Philippinen. In Ostdeutschland haben nach Expertenmeinung diejenigen Betriebe die beste Überlebenschance, die klein, flexibel und auf das Marktsegment mit der höchsten Qualität ausgerichtet sind — ein Problem in sich: In der DDR waren die Textilbetriebe deutlich größer als im Westen und auf Billigqualität für Osteuropa sowie mittlere Qualität für den Westen spezialisiert. dri
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