MIT DEN WARENREGALEN AUF DU UND DU: Konsumbewußte Schweizer
Soli-Kaffee und Eier glücklicher Hühner als Verkaufhits ■ Aus Genf Andreas Zumach
Die große Masse der Konsumenten ist nicht bereit, für Lebensmittel mehr zu bezahlen, nur weil diese unter tiergerechten, ökologischen oder fairen sozialen Bedingungen produziert wurden. Das gilt vor allem dann, wenn preiswertere Konkurrenzware im Ladenregal direkt daneben liegt. Diese Einschätzung hält sich hartnäckig bei Ladenbesitzern oder Einkäufern von Lebensmittelketten. Auch eine kürzlich veröffentlichte Untersuchung des World-Watch-Instituts (siehe taz v.27.7.) konstatiert nur bei einer kleinen Minderheit die Bereitschaft, aus politischen oder ökologischen Motiven mehr Geld für Nahrungsmittel auszugeben.
Daß das nicht so sein muß, beweisen seit einigen Monaten die Schweizer Konsumenten. Im Frühjahr stellten die beiden größten Lebensmittelketten, Migros und Coop einen Solidaritätskaffee in ihre Regale, der fast um ein Drittel teurer als die billigen Hausmarken ist. Der Kaffee wird direkt bei Kleinbauern-Kooperativen in Lateinamerika eingekauft; die Kaffeebauern erhalten neben einer gerechten Entlohnung auch eine Abnahmegarantie. Der bisherige Absatz des Solidaritätskaffees übersteigt selbst die kühnsten Hoffnungen der Schweizer Dritte-Welt-Laden-Betreiber, die die beiden Lebensmittelketten zu dem Experiment überredet hatten.
So wird der Solidaritätskaffee ebenso auf Dauer im Angebot bleiben wie die Hühnereier aus heimischer helvetischer Produktion. Die halten sogar einen Marktanteil von 63 Prozent — obwohl sie fast doppelt so viel kosten wie Importware aus den EG-Nachbarstaaten. Doch zwei Drittel der Eidgenossen sind bereit, zwischen sechs und acht Franken für das Dutzend auf den Tisch zu legen. Die Eier stammen von glücklichen Hühnern, denn seit Anfang dieses Jahres ist in der Schweiz — als bislang einzigem Land der Welt — die Massenhaltung von Legehennen in engen Käfigen verboten. Bereits 1978 setzten Tierschützer bei einer Volksabstimmung das Verbot der Batteriehaltung durch, obwohl es damals zumindest für große Betriebe noch keine Alternative gab. Die Regierung räumte den Geflügelzüchtern eine Übergangszeit von zehn Jahren ein; schließlich konnte der anfänglich heftige Widerstand der Züchter überwunden werden. In den letzten vier Jahren investierten die großen Betriebe über 200 Millionen Franken in den Bau neuer Anlagen. Das heute am weitesten verbreitete Modell ist ein großflächiger Hühnerstall mit geschützten, abgedunkelten Legenestern, einem Boden zum Scharren sowie vielen Sitzstangen und Zwischenböden. Inzwischen kommen zahlreiche ausländische Geflügelhalter und Regierungsvertreter in die Schweiz, um die artgerechte Hühnerhaltung zu begutachten. Und Schweizer Stallbaufirmen liefern das neue System bereits in alle Welt.
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