MIT DEM MERCOSUR AUF DU UND DU: Chile läßt sich Zeit
■ Südamerikanischer Binnenmarkt ohne Chile?
Santiago (IPS) — Die chilenischen Unternehmer haben es mit dem Beitritt zum gemeinsamen Markt Argentiniens, Brasiliens, Paraguays und Uruguays, dem Mercosur, nicht eilig. Wenn der ab dem 1.Januar 1995 in Kraft tritt, befürchten sie durch die Integration in Südamerika Nachteile auf anderen Märkten. Was die anderen lateinamerikanischen Länder noch vor sich haben, hat Chile bereits hinter sich gebracht. Denn bereits in den siebziger und achtziger Jahren setzte die Militärdiktatur die Liberalisierung der Wirtschaft und die Privatisierung öffentlicher Betriebe durch.
Den „historischen Vorsprung“ wollen die chilenischen Unternehmer nutzen: Planen die Regierungen der Nachbarländer zum Beispiel, ihre Elektrizitätswerke oder andere große Betriebe zu verkaufen, bieten die Chilenen mit den Konkurrenten aus den Industriestaaten kräftig mit. Ihre Devise: ein Standbein auf den Märkten der Nachbarländer schaffen. Während sie sich mit Gemeinschaftsprojekten in den Staaten des Mercosur die Vorteile des entstehenden gemeinsamen Marktes sichern wollen, haben sie mit der Integration des Landes dagegen keine Eile. Eine Integration, so fürchten sie, würde die Absatzchancen auf anderen Märkten gefährden.
Weniger als acht Prozent der chilenischen Exporte gehen derzeit in die Länder des Mercosur, und 18 Prozent der Importe kommen von dort. Viel wichtiger sind die Märkte Nordamerikas, Europas und Asiens, wo die Produkte der chilenischen Exporteure freilich oft nur deshalb Zugang haben, weil Santiago seinerseits die Zölle auf ein Mindestmaß abbaute. Diese Vorteile könnten mit dem Eintritt in den Mercosur zunichte gemacht werden, weil Chile sich dann nach den Außenzöllen der Wirtschaftsgemeinschaft richten müßte. Dabei liegen dem Präsidenten Patricio Aylwin die Handelsabgaben immer noch zu hoch: „Die Zollsätze, der Protektionismus und die Handelssubventionen in einigen Mitgliedsländern des Mercosur sind mit der offenen Wirtschaft Chiles unvereinbar“, hatte Aylwin Mitte August erklärt und hinzugefügt, daß er den südamerikanischen Binnenmarkt nur als einen möglichen Weg Chiles in die Zukunft sehe. Dafür schloß Santiago aber einen Handelsvertrag mit Mexiko, das seinerseits einen Aufschwung durch die Integration in das Nordamerikanische Freihandelsabkommen mit den USA und Kanada erhofft.
Chile war 1976 aus dem Andenpakt mit Bolivien, Ecuador, Kolumbien, Peru und Venezuela ausgetreten, weil Diktator Augusto Pinochet die Liberalisierung der chilenischen Wirtschaft mit dem ökonomischen Kurs der Andenstaaten unvereinbar erschien.
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