MIT DEM LIRE-KAPITALISMUS AUF DU UND DU: Mamma mia Italia
■ Zentralbank senkt Diskontsatz — Italien zittert weiter
Rom/Mailand (taz/dpa) — Senatspräsident Giovanni Spadolini beschwört die Gefahr, den Zug nach Europa zu verpassen; Ministerpräsident Giuliano Amato sieht Italien schon wirtschaftlich am Abgrund. Und der Fiat-Chef Giovanni Agnelli befürchtet bereits, daß Italien aus der „ersten Liga“ absteigen könnte. Täglich erhalten die Zweifel der Italiener neue Nahrung, ob sich die versprochene Radikalkur für Italiens zerrüttete Staatsfinanzen überhaupt durchsetzen und der Fall in die Wirtschaftskrise noch aufhalten läßt.
Begonnen hat der pragmatische Sozialist Amato recht eindrucksvoll: Die Reduzierung des Etatdefizits, ein Sparpaket für den Staat, Erhöhung von Steuern und Abgaben, rasche Privatisierung der maroden Staatsunternehmen, ein Abkommen mit Gewerkschaften und Arbeitnehmern zur Abschaffung der „scala mobile“ (der automatischen Anpassung der Löhne an die Inflation), die Verteuerung von Kapital und Krediten — kaum etwas fehlt aus dem Repertoire eines gestandenen Sanierungsprogramms.
Doch schon wenige Wochen nach Verkündung des Wirtschaftspakets wächst das Mißtrauen über das Maßnahmenpaket. Die Mailänder Börse zeigt sich nicht zuletzt durch die Korruptionsskandale mit anhaltendem Negativtrend — seit Januar sind die Kurse um 20 Prozent gefallen. Nun reagierte auch die Zentralbank und gab ihre Hochzinspolitik auf: Sie senkte am Montag abend den erst vor zwei Wochen erhöhten Diskontsatz um einen halben Punkt von 13,75 auf 13,25 Prozent. Ein erstes Entspannungssignal, denn nicht wenige Beobachter hatten befürchtet, daß schon wegen der gestiegenen Zinsen, den derzeit höchsten in Westeuropa, die Sparbeschlüsse restlos verpuffen könnten.
Amato gibt sich weiter zuversichtlich: „Wir sind fest entschlossen, das Steuer herumzureißen“, betont er und hofft, die Bedingungen für die „erste Liga“ in der EG erfüllen zu können. Doch weit gefehlt: Nicht einmal das Ziel, die Höhe des Staatsdefizits von 150.000 Milliarden Lire (etwa 200 Milliarden DM) 1991 zu begrenzen, scheint realistisch. Schließlich ist der angestrebte Effekt des Sparpakets, den Haushalt um 30.000 Milliarden Lire zu entlasten, kaum mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Italien trägt die Last einer Staatsschuld von umgerechnet über 2.000 Milliarden Mark — mehr als das jährliche Bruttoinlandsprodukt des Landes. Auch der Privatisierungsplan für die hochverschuldeten Staatsbetriebe erscheint halbherzig: Die Mehrheit der Aktien soll beim Staat bleiben. Auch sieht es nicht danach aus, daß die weitverbreitete Vetternwirtschaft der Parteien in den Staatsfirmen durch nüchterne Management-Prinzipien verdrängt würde. Schon jetzt beträgt die Arbeitslosenrate elf Prozent. Fiat, Pirelli, Olivetti oder der Stahlkonzern Ilva planen einen massiven Stellenabbau. Italien steht vor wirtschaftlich schweren Zeiten — daran zweifelt kaum noch jemand. es
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen