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Archiv-Artikel

MICHAEL BRAUN ÜBER DAS WARTEN AUF DEN ABSCHIED VON SILVIO B. Furcht und Abscheu in Rom

Woanders treten Verurteilte still ihre Strafe an – Berlusconi mimt den politisch Verfolgten

Verzweifelt“ sei der Mann, so heißt es an dem einen Tag. Und tags darauf verlautet in allen Zeitungen, „Berlusconis Zorn“ kenne keine Grenzen mehr. Seit dem 1. August geht das nun schon so: seitdem Silvio Berlusconi zu vier Jahren Haft wegen Steuerhinterziehung verurteilt wurde mit der Folge, dass er auch seines Sitzes im Senat verlustig geht.

Dieses Spektakel bereits ist Silvios erster Sieg. Anderswo treten Verurteilte still und leise ihre Strafe an – und wenn sie Politiker waren, ziehen sie sich ebenso leise zurück. Doch Berlusconi inszeniert sich, als sei er ein politisch verfolgter ukrainischer Oppositionsführer. Und die Rechnung geht auf, in den Umfragen liegt sein Block zurzeit vorn. Mehr noch: Der Mann stellt Forderungen. Er will vor die europäischen Gerichte ziehen, dann wohl vor die UNO. Nur eines will er nicht: das Urteil akzeptieren.

Ganz offen greift Italiens Rechte dabei zu einem Erpressungsmanöver. Ohne den Berlusconi-Block hätte die Notstandsregierung unter Enrico Letta keine Mehrheit. Das wäre in gewöhnlichen Zeiten kein Problem, doch Italien steht in Zeiten der Eurokrise unter Sonderbeobachtung; bei einer Regierungskrise mit ungewissem Ausgang droht der Spread sofort in die Höhe zu schießen.

Deshalb spekuliert das Berlusconi-Lager offen auf einen Gnadenakt des Staatspräsidenten Giorgio Napolitano. Der Preis wäre wohl ein Rückzug des Vorbestraften aus der ersten Reihe. Doch höher wäre der Preis, den Italien um vermeintlicher Stabilität willen zahlen würde. Nicht bloß würde jedweder noch so bescheidene Gnadenakt von der Rechten sofort als Beleg für ihre These von der „Verfolgung“ Berlusconis herangezogen. Schlimmer noch: Ein für alle Male wäre das Prinzip sanktioniert, dass in Rom an Berlusconi einfach kein Weg vorbeiführt – dass der Mann ein ganzes Land in Geiselhaft nehmen kann.